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Kroatien vor spektakulärem Kriegsverbrecher-Prozess?

11. Mai 2006

Kroatien kämpft noch mit der jüngsten Vergangenheit: Gegen den mächtigsten Politiker Slawoniens soll wegen Kriegsverbrechen ermittelt werden. Seine Immunität entzog ihm nun das Parlament – 15 Jahre nach den Verbrechen.

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Entscheidung nach langer ParlamentsdebatteBild: AP

Branimir Glavas, der seit langen Jahren mächtigste Politiker in Slawonien, einer der Gründer der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) und derzeitiger HDZ-Dissident, wurde seine Immunität als Abgeordneter entzogen. Damit wird der Weg frei, ihm wegen der Ermordung serbischer Zivilisten in Osijek den Prozess zu machen. "Ich bin unschuldig - das ist alles politisch motiviert", wiederholt Branimir Glavas unermüdlich, seit Parlamentspräsident Vladimir Seks öffentlich machte, dass Generalstaatsanwalt Mladen Bajic den Entzug seiner Immunität verlangt habe, damit man ihn wegen der Ermordung serbischer Zivilisten in Osijek in der Zeit zwischen dem 1. August 1991 und 27. März 1993 vor Gericht stellen könne. Glavas wird mit der Ermordung serbischer Zivilisten schon ein ganzes Jahrzehnt in Verbindung gebracht, was auch - so hieß es jedenfalls Mitte der 90er Jahre an der Spitze der Regierung - Anlass für Versuch des ehemaligen Präsidenten Franjo Tudjman gewesen sei, Glavas durch die Ernennung in ein hohes Staatsamt aus Osijek und Slawonien zu entfernen. Dieser hatte jedoch Tudjmans Angebot störrisch zurückgewiesen und war mit Hilfe der slawonischen, von Vladimir Seks geführten HDZ-Lobby bis jetzt der unantastbare Sheriff Slawoniens.

Kein Prozess trotz Augenzeugen

Mit dem Regierungswechsel im Jahre 2000, beschuldigte der damalige Gespan von Osijek-Baranja, der Sozialdemokrat Ladislav Bognar, Glavas auch der Teilnahme an der Liquidierung kroatischer Soldaten während des Vaterlandskrieges und brachte ihn auch mit dem bis heute ungeklärten Mord an Mate Sabic, einem der Befehlshaber der Verteidigung von Osijek, in Verbindung. Ein erneuter Versuch, Glavas vor Gericht zu stellen, folgte vor zehn Monaten, als ihn ein Augenzeuge beschuldigte, den Befehl für einen Mord gegeben zu haben: "Branimir Glavas ist in diesem Moment, nach dieser Schießerei zu mir gekommen und hat mich gefragt: ‚Und wo ist der andere?‘ Ich habe ihm gesagt: ‚Drinnen ist er. Da sagte er zu mir: ‚Und auf was wartest Du, Du hättest auch ihn liquidieren müssen, so lange noch niemand hier ist.‘"

Vorwürfe gegen ehemalige Parteifreunde

Glavas selbst setzt sich heute für eine Aufklärung der Verbrechen ein. Es habe Verbrechen gegeben, so Glavas: "Ich muss aber sagen, dass diese Verbrechen nicht das Ergebnis einer durchdachten, verbrecherischen Politik gewesen sind. Es gab einzelne Verbrechen, die untersucht werden müssen, aber nicht untersucht wurden. Denn das, was in den letzten zehn Monaten untersucht wurde, war selektiv. Es wurde nur das untersucht, von dem sie meinten, es würde Branimir Glavas anschwärzen." Glavas ist überzeugt, dass die Untersuchung gegen ihn erst in dem Moment angestrengt wurde, als er der HDZ den Rücken gekehrt und die Vereinigung zur regionalen Entwicklung Slawoniens gegründet habe, nur wenige Tage vor den Lokalwahlen. Auf der kürzlichen Gründungsversammlung des Kroatischen Demokratischen Rates Slawoniens und Baranjas, einer Partei deutlich unter seinem Einfluss, nannte Glavas die Namen derer, die hinter der angeblichen politischen Abrechnung mit ihm stehen. Vor dem Hintergrund seinen Namen skandierender Anhänger beschuldigte er Vladimir Seks und Ministerpräsident Ivo Sanader, einen Krieg gegen ihn angezettelt zu haben, und versprach, aus diesem Krieg als Sieger hervorzugehen.

Weggefährte kontert

Vladimir Seks, langjähriger Freund und politischer Weggefährte, wies diese Anschuldigungen zurück. Es sei traurig und geschmacklos zu versuchen, eine rechtliche Frage auf diese Weise zu politisieren, mit Anschuldigungen und dem Abschieben der Verantwortung auf jemand anderen. Branimir Glavas behaupte, "sich ehrenvoll, verantwortlich, gewissenhaft verhalten zu haben, keinerlei Regeln des Kriegrechtes, Gesetzes oder ähnliches verletzt zu haben. Ich weiß nur nicht, warum er dann erklären muss, dass ich sein Vorgesetzter gewesen sei, wenn er sich doch völlig ruhig und sauber fühlt."

Warum erst jetzt ein Prozess?

Oberstaatsanwalt Mladen Bajic antwortet auf die häufig gestellte Frage, warum gerade jetzt eine Untersuchung gegen Glavas auf den Weg gebracht worden sei, dass erst jetzt die Beweise gesammelt worden seien. Der kroatische Staatspräsident Stipe Mesic wiederum erkennt in diesem Fall alle Krankheiten des kroatischen Justizsystems: "Das ist offensichtlich das Ergebnis eines derartigen Funktionierens der Institutionen, dass man heute das löst, was man prompt damals, als es geschah, hätte lösen müssen."

Vladimir Seks wiederum war in den frühen 90er Jahren Oberstaatsanwalt, was die vor kurzem von Sanader entlassene Justizministerin Vesna Skare Osbolt nutzte, um ihn vorzuführen: "Ich werde einfach die Staatsanwälte, die 1992 im Amt waren, so wie Vladimir Seks, fragen, warum damals nicht der Fall Osijek behandelt wurde. Ob er von ihm gewusst hat, ob er ihn nicht verfolgen durfte, was zu dieser Zeit tatsächlich passierte und warum damals der Rechtsstaat nicht funktioniert hat, sondern erst jetzt, wo Branimir Glavas die HDZ verlassen hat, wo man eine Art politischen Kampf um Slawonien führt."

Seks wiederum erklärte, er habe zu dieser Zeit keinerlei Informationen gehabt über eine Verbindung von Branimir Glavas zu irgendwelchen strafbaren Handlungen oder Verbrechen, für die dieser verantwortlich sein könnte.

Gordana Simonovic, Zagreb
DW-RADIO/Kroatisch, 10.5.2006, Fokus Ost-Südost