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Höchstens ärgerlich

Alexander Kudascheff3. Mai 2006

EU-Erweiterung nächste Runde: Diesmal geht es um Bulgarien und Rumänien. Die Frage ist aber weniger ob, sondern wann sie aufgenommen werden - Beitrittsreife hin oder her.

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Am 16 .Mai ist es soweit. Dann legt der finnische Erweiterungskommissar Olli Rehn den wahrscheinlich letzten Fortschrittsbericht über Rumänien und Bulgarien vor. Noch einmal gewichtet die Kommission, ob beide Länder beitrittsreif sind. Ob sie den Standards der EU entsprechen. Ob sie den "aquis communitaire" - also das rund 80.000 Seiten umfassende Regelwerk der europäischen Union - in nationales Recht umgesetzt haben. Ob sie also beitreten dürfen - zum 1. Januar 2007, wie man in beiden Hauptstädten, in Bukarest wie in Sofia hofft. Sollte der Befund des scheuen und zurückhaltenden Finnen Rehn negativ ausfallen - dann wird der Beitritt verschoben. Um ein Jahr auf 2008. Und zwar endgültig.

Einstimmig bei Staatsstreich

Fernschreiber Autorenfoto, Alexander Kudascheff

Das heißt: Nur jetzt hat die Kommission noch eine Chance, Druck auf Rumänien und Bulgarien auszuüben. Nur jetzt kann sie beide Länder locken, die letzten Probleme wegzuräumen, um schon nächstes Jahr beitreten zu können. Ein enormer Prestigegewinn - nach innen aber auch nach außen. Ein Jahr später hat Brüssel keinen Hebel gegen die Beiden mehr. Denn dann steht der Beitritt fest, egal welche Standards die Länder nicht erfüllen. Denn ein Nein zum Beitritt müsste von den Staats- und Regierungschefs einstimmig beschlossen werden - und das ist wohl nur bei einem Staatsputsch vorstellbar. Der aber ist wohl (Gott sei Dank) undenkbar.

Das Problem ist also allen in Brüssel klar: Selbst wenn Rumänien oder Bulgarien oder beide nicht den eigentlich strengen Anforderungskriterien der EU entsprechen - ihrem Beitritt steht wohl nichts mehr im Weg. Dabei sind beide Länder nach übereinstimmender, aber nur hinter vorgehaltener Hand geäußerter Meinung, bei weitem nicht beitrittsreif. Das gilt sowohl für die ökonomischen Standards, als auch große Teile des umfänglichen europäischen Regelwerks. Und: Es gilt in beiden Ländern die allgemeine Korruptionsmentalität. Zwei willkürliche Beispiele: Öffentliche Aufträge gibt es oft nur gegen Bakschisch, eingezogene Führerscheine zurück manchmal gegen hundert Euro. Das weiß man in Brüssel. Das wird auch Olli Rehn feststellen. Er wird es beklagen und hoffen, dass in Rumänien und in Bulgarien der neu entschlossene Kampf gegen die Korruption erfolgreich ist. Aber er weiß es nicht. Und befindet Rehn, es reicht bei einem oder beiden Ländern nicht - dann wird alles um ein Jahr verschoben. Das mag für Rumänen und Bulgaren ärgerlich sein, mehr aber nicht.

Strategie contra Skepsis

Dabei weiß man in den Brüsselern Kreisen sehr wohl, dass - unabhängig vom längst beschlossenen Beitritt der beiden Balkanstaaten - die gesamte Erweiterungsperspektive in Europa beim Bürger umstritten ist. Dass die meisten finden, es reicht, die EU sei groß genug. Trotzdem wird in den europäischen Amtsstuben und Think Tanks längst an der nächsten Erweiterungsgrunde gearbeitet. Der Balkan und die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sind im Blickfeld, Kroatien kommt sowieso. Die Türkei steht vor der Tür, und ob man den zurückhaltenden Kurs gegenüber der Ukraine auf Dauer durchhalten kann, wird hier leise bezweifelt. Doch so strategisch richtig diese Erweiterung der EU auch sein mag, demokratisch legitimiert ist sie nicht. Denn die Bürger sind skeptisch - und diese Skepsis richtet sich inzwischen auch gegen die EU insgesamt. Ein Warnzeichen, das man in Brüssel endlich mal hören sollte - anstatt wie meist darüber hinwegzugehen.