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Kommentar: Der Papst ist authentisch, populär, dialogorientiert

Marco Vollmar19. April 2006

Nach einem Jahr lässt sich eine erste positive Bilanz über das Wirken von Papst Benedikt XVI. ziehen. Und auch die vor ihm stehenden großen Herausforderungen wird er souverän meistern, meint Marco Vollmar.

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"Wir sind Papst" titelte vor einem Jahr die "Bild"-Zeitung zur Wahl von Papst Benedikt XVI. freudetrunken. Damit versuchte Deutschlands größtes Boulevard-Blatt und selbst ernanntes Zentralorgan der bundesdeutschen Befindlichkeit die Gefühle vieler Menschen zusammenzufassen. Ein Jahr danach beeindruckt der Mann, der am Ostersonntag seinen 79. Geburtstag gefeiert hat, die Deutschen weiterhin und kommt hervorragend vor allem bei jungen Menschen an. Weniger Kirchenaustritte, mehr Rückkehrer und Übertritte in Deutschland sowie die wachsende Nachfrage nach Erwachsenentaufen sind weitere Belege für sein erfolgreiches Wirken.

Auch international zieht das Oberhaupt von 1,1 Milliarden Katholiken, rund 4700 Bischöfen und 406.000 Priestern viele Menschen in seinen Bann. Heute spricht niemand mehr vom "Panzer-Kardinal", "Großinquisitor" oder "Wachhund der Dogmatik", wie er von eingefleischten Anti-Klerikalen und italienischen Journalisten in seiner Funktion als oberster Glaubenswächter und Chef der römischen Glaubenskongregation bezeichnet wurde.

Kein Pop-Star

Benedikts Erfolgsgeheimnis: seine Authentizität, seine
Bescheidenheit, seine Klarheit. Die großen Auftritte sind seine Sache nicht, auch wenn er bei seiner bislang einzigen Auslandsreise zum Weltjugendtag nach Köln über eine Million Gläubige begeistert hat. Er sieht sich nicht als der von den Medien hochgejubelte Pop-Star, dessen Konterfei als Poster in Deutschlands bekanntester Jugendzeitschrift "Bravo" abgedruckt wurde - sondern er ist von ganzem Herzen Theologe, Lehrer und Priester, der alle wichtigen Ansprachen selber schreibt und auch politisch Stellung bezieht.

In seiner ersten Osteransprache beschwor er die internationale Gemeinschaft eindringlich, die Krisen und Tragödien in Afrika, im Nahen Osten und in Lateinamerika zu überwinden. Er sprach sich für das Existenzrecht Israels und einen eigenen Staat der Palästinenser aus und rief zu einer Verhandlungslösung im Atomstreit mit Iran auf.

Keine Liberalisierung bei moralischen Streitfragen

Programmatisch hat er sich im vergangenen Jahr auf das Wesentliche des Glaubens konzentriert: seine schöpferische Kraft. Fest steht, eine Liberalisierung von moralischen Streitfragen ist von ihm nicht zu erwarten. Verhütung und Abtreibung wird er nicht erlauben. Ebenso wenig, dass Frauen zu Priesterinnen geweiht werden. Geschiedenen und Wiederverheirateten die Teilnahme am Abendmahl zu gewähren - auch da tut er sich schwer.

Papst Benedikt versucht, das Tempo der Modernisierung mit der Bewahrung der Tradition in Einklang zu bringen. In seiner ersten Enzyklika "Deus caritas est" beschwört er die Liebe als Grundlage des Glaubens, ihre Kraft könne erst in der Ehe zwischen Mann und Frau und in Form christlicher Nächstenliebe ausgelebt werden. Damit entwickelt er einen Gegenentwurf zu allen Konzepten, die "mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbinden" - ohne jedoch eine Moralpredigt zu halten.

Antworten auf globale Fragen

Wie Johannes Paul II. sucht er den Austausch mit Juden und Muslimen, den Dialog mit Protestanten und Orthodoxen. Ebenso knüpft er an die Menschenrechtspolitik seines Vorgängers an, ernannte jüngst mit dem Hongkonger Bischof Joseph Zen einen mutigen und engagierten Kämpfer für die Glaubensfreiheit in China zum Kardinal.

Seine Politik der kleinen Schritte wird er auch 2006 fortsetzen. Vor ihm liegen große Aufgaben. Er muss die kirchliche Zentralverwaltung, die Kurie, strukturell reformieren. Er muss Antworten geben, wie sich die Kirche in globalen Zeiten aufstellen, wie im Wettstreit der Weltanschauungen positionieren wird. Auf seinem Programm stehen Reisen in die katholisch geprägten Länder Polen und Spanien sowie in seine Heimat Bayern. In der Türkei wird er mit dem orthodoxen Patriarchen zusammentreffen und unter dem skeptischen Blick der Regierung in Ankara, die ihn als Gegner des türkischen EU-Beitritts ausgemacht hat, für mehr Religionsfreiheit eintreten.

In einer der nächsten Synoden will der Papst außerdem auf die Herausforderungen der Christenheit in Afrika eingehen. Große Aufgaben, die komplexer und vielschichtiger kaum sein könnten. Benedikt XVI. wird sie gewiss souverän und selbstbewusst angehen - getreu dem alten Spruch: "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch ein Charisma."