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Quälerei für die EU-Strategen

Alexander Kudascheff4. April 2006

In Brüssel lasten allerlei schwierige Entscheidungen auf den EU-Politikern. Der Beitritt von Rumänien und Bulgarien steht bevor, und kaum jemand freut sich darüber. Das könnte die Union weitere Sympathien kosten.

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Fernschreiber Autorenfoto, Alexander Kudascheff

Die Europäische Union quält sich. Ob Verfassung oder Dienstleistungsrichtlinie, ob Kongomission oder Haushalt - alles ist in der Schwebe und kommt nicht so recht voran. Das gilt auch für die Erweiterung. Für die ungelöste Frage: Wo enden die Grenzen der EU? Für die ebenso ungelöste Frage: Was macht man mit dem Balkan? Und dort besonders mit Serbien-Montenegro, solange der Kriegsverbrecher Mladic nicht ausgeliefert ist? Das gilt aber besonders für den Beitritt von zwei Ländern, die demnächst - so sehen es die Verträge vor - der EU beitreten werden. Rumänien und Bulgarien. Ihr Beitritt ist vorgesehen für 2007 - er kann sich bei einem negativen Votum der EU-Kommission auf 2008 verschieben. Dann aber gibt es keine Chance mehr, Nein zu sagen - selbst, wenn man wollte.

Vertrag ist Vertrag

Aber - das Unbehagen über den Beitritt der beiden südosteuropäischen Länder ist in Brüssel mit Händen zu greifen. Allerdings auch die Ratlosigkeit. Mit wem auch immer man spricht - in der Kommission, im Rat und natürlich im Parlament - überall hört man "pacta sunt servanda", also: Verträge sind einzuhalten; aber glücklich ist man mit dieser Antwort nicht. Eigentlich hält man Rumänien und Bulgarien beide nicht für beitrittsreif - unabhängig von den einzelnen kritischen Faktoren wie Korruption oder Menschenhandel. Mit beiden Ländern sind ja beim Gipfel in Helsinki im Winter 2000 im Paket mit vier anderen Beitrittsgespräche vereinbart worden. Und obwohl man schon damals ahnte, es wird länger dauern als bei den anderen vier - hat man sich auf verbindliche Zeitpunkte festgelegt. Ein fataler Fehler. Und jetzt sitzt man in der Falle. Unbehagen überall, aber Zusagen auf dem Papier, von denen man nicht runter kommt.

Deutsches Omen?

Das ahnt auch Olli Rehn - der für die Erweiterung zuständige Kommissar. Der eher wortkarge Finne, ein Mann bedächtiger Entscheidungen und zurückhaltender Formulierungen steht unter Druck. Am 16. Mai muss er sagen, wie es weiter geht. Ob Rumänien und Bulgarien 2007 oder ein Jahr später beitreten. Keine einfache Entscheidung; wobei im Moment sogar - wider das allgemeine Erwarten - Rumänien nach Punkten vor Bulgarien liegt. Aber hier in Brüssel schließt man inzwischen Wetten. Rehn, der Rat und das Parlament werden die Beitritte zum 1. Januar 2007 durchwinken. Unpopulär sind sie in der europäischen Öffentlichkeit eh. Da kommt es auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an. Aber taktisch gesehen ist 2007 ein wichtigeres Jahr als 2006. Dann wird man darüber entscheiden müssen, wie es weiter geht in der EU. Wie man die Verfassung oder Teile von ihr retten kann oder ob man sie aufgeben muss. Dann wird man sich bei weitreichenden Entscheidungen über die Perspektiven der EU nicht belasten wollen durch eine eventuell aufgeregte Diskussion über den Beitritt von zwei Ländern, die nicht beitrittsreif sind. Also wird man sich vielleicht doch den Rücken freihalten wollen - um ohne öffentlichen Druck entscheiden zu können. Das spräche dafür, beide Länder schon jetzt aufzunehmen. Andererseits: die Erweiterung steht unter besonders kritischer Beobachtung. Und das könnte den einen oder anderen doch noch zurückschrecken lassen, sich für ein Ja zu entscheiden. Die Deutschen immerhin wissen alles besser. Sie entscheiden schon über ihr Ja - bevor Olli Rehn seinen Bericht vorlegt. Ist das mehr als ein deutsches Indiz, ist es ein europäisches Omen?