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Das Diktat der leeren Kassen - der Hintergrund des Ärztestreiks

Karl Zawadzky19. März 2006

Erstmals erlebt Deutschland einen flächendeckenden Streik von Ärzten. Sie demonstrieren vor den Kliniktoren für kürzere Arbeitszeiten und mehr Geld.

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Mediziner der Uniklinik BonnBild: AP
Ärzte streiken Leere Betten
Leere Betten: Die Uniklinik BonnBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Trotz des Ärztestreiks sei die medizinische Versorgung in Deutschland, auch an den bestreikten Universitätskliniken, nicht beeinträchtigt, versichert Frank-Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztegewerkschaft "Marburger Bund". "Alle Notfälle werden behandelt." Aber es gebe Einschränkungen geben bei so genannten Wahleingriffen. So würden bestimmte Termine in Ambulanzen verschoben. Die Haus- und Fachärzte in den Praxen sowie die Ärzte in den Krankenhäusern arbeiten ohnehin ganz normal:

Sonderzahlungen gekürzt

Der Streik des Marburger Bundes richtet sich gegen die Universitätskliniken, die als Einrichtungen der Bundesländer nicht der normalen Versorgung dienen, sondern der Spitzenmedizin sowie der Forschung und der Ausbildung von Medizinstudenten. Doch die Probleme der Ärzte an den Universitätskliniken sind die gleichen wie die der Ärzte an normalen Krankenhäusern. Während die Chefärzte einen großen Teil ihrer Leistungen privat abrechnen können und mit diesen Zusatzeinkommen zum Gehalt zu den Spitzenverdienern in Deutschland zählen, sind den übrigen Ärzten Sonderzahlungen wie das Weihnachtsgeld gekürzt worden.

Vor allem aber erhalten sie die regelmäßig und in großem Umfang anfallenden Überstunden gar nicht mehr oder nur noch zu einem geringen Teil bezahlt. Dadurch haben sie erhebliche Einkommensverluste erlitten. Außerdem haben sich die beruflichen Perspektiven über die letzten Jahre deutlich verschlechtert. Früher haben Assistenzärzte Überstunden und Nachtdienste akzeptiert. Denn nach der Facharztausbildung haben sie eine eigene Praxis eröffnet und damit glänzend verdient. Aber längst zählen niedergelassene Ärzte nicht mehr zu den Spitzenverdienern. Außerdem ist die Gründung von Praxen in gut versorgten Regionen untersagt; viele Assisistenzärzte müssen sich damit abfinden, bis zum Ende ihres Berufslebens in untergeordneter Stellung im Krankenhaus zu bleiben. Das aber bedeutet schlecht oder unbezahlte Überstunden sowie Nachtdienste über das gesamte Berufsleben hinweg.

Gewaltiger Unmut

Vor diesem Hintergrund hat sich bei den Ärzten in den Krankenhäusern und Universitätskliniken ein gewaltiger Unmut angestaut, der sich nun in einem Arbeitskampf entlädt, nachdem die Tarifverhandlungen für die 22.000 Ärzte an Universitätskliniken gescheitert waren. Am Freitag (17.3.) legten die Mediziner "als Zeichen ihres guten Willens" eine Pause ein, doch ab Montag soll der Ausstand an Universitäts- und Landeskliniken wieder massiv ausgeweitet werden.

Die Ärztegewerkschaft verlangt eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent, was - für sich betrachtet und für deutsche Verhältnisse - eine völlig überzogene Größenordnung ist. Hinzu kommt die Forderung nach geregelten Arbeitszeiten und nach einer vollständigen Vergütung der Überstunden sowie der Nachtdienste. "Wir haben sieben Prozent Reallohnverlust, während die Verwaltungsdirektoren sechs Prozent mehr haben", sagt Montgomery. "Man hat uns das Weihnachtsgeld genommen, da sind sieben Prozent weg. Und dann will man uns auch noch neun Prozent mehr Arbeit zumuten, ohne sie zu bezahlen. Das sind 30 Prozent."

In der deutschen Bevölkerung stößt der Arbeitskampf der Assistenzärzte von Universitätskliniken nicht auf völliges Unverständnis und Empörung. Denn die schlechten Arbeitsbedingungen der Ärzte haben sich herumgesprochen. Hinzu kommt: Jeder kann unverhofft in die Lage kommen, ärztliche Hilfe zu benötigen. Dann ist es durchaus ein Risiko, wenn der Arzt bereits seit 24 Stunden, in Extremfällen sogar schon seit 36 Stunden arbeitet.

Abwandern ins Ausland

Hinzu kommt, dass immer mehr junge Ärzte von solchen Arbeitsbedingungen abgeschreckt werden und sich Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung, in der Pharmaindustrie oder im Ausland - zum Beispiel in Großbritannien, in Skandinavien oder in Nordamerika - suchen, wo sie für angenehmere Arbeitszeiten deutlich besser bezahlt werden.

Zwar hat der Arztberuf bei Umfragen immer noch das höchste Ansehen, zwar streben nach wie vor genügend Abiturienten in die ärztliche Ausbildung, aber immer weniger ausgebildete Ärzte üben ihren Beruf in Deutschland aus. In einigen Regionen - etwa in Ostdeutschland sowie in ländlichen Gegenden - kündigt sich bereits ein Ärztemangel an. "Es ist fünf Minuten nach zwölf in Deutschland, weil die besten Ärztinnen und Ärzte inzwischen ins Ausland gehen", sagt Montgomery. "In Großbritannien, in Holland verdient man das Doppelte bis das Dreifache. Man hat anständige Arbeitsbedingungen, man muss weniger Überstunden machen."