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Verstörende Geschichte eines Exorzismus

2. März 2006

Auf der Berlinale hat der deutsche Film "Requiem" bereits für viel Begeisterung gesorgt. Die Hauptdarstellerin Sandra Hüller wurde für ihre beeindruckende Leistung mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

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Herausragende Schauspielerin: Sandra HüllerBild: X Verleih

Es ist keine leichte Kost, die dem Publikum vom Regisseur Hans-Christian Schmid da vorgesetzt wird. Dabei ist die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, schnell erzählt: Die junge Michaela Klingler verlässt ihr streng katholisches Elternhaus, um in Tübingen zu studieren. Glücklich genießt sie die neue Freiheit. Doch Michaela ist schwerkrank: Sie leidet unter Epilepsie und Wahnvorstellungen.

Verzweifelt wendet sie sich an den Dorfpfarrer, der sie in Kontakt mit einem jungen Priester bringt. Das gemeinsame Gespräch und Gebet tut Michaela gut. Trotzdem nimmt die Tragödie ihren Lauf. Schreckliche Anfälle foltern die Studentin, auch die Eltern sind verzweifelt. Schließlich sehen sie nur noch eine Rettung für ihre Tochter: Eine Teufelsaustreibung nach kirchlichen Regeln. Damit endet der Film, im Nachspann erfährt der Zuschauer, dass Michaela auch so nicht zu retten war, sie stirbt im Elternhaus an Entkräftung.

Wahre Geschichte

Filmszene REQUIEM
Religiöser Fanatismus mit fatalem EndeBild: X Verleih

Vorlage für Schmids Film ist das Schicksal der vor 30 Jahren nach wochenlangen Exorzismen verstorbenen Anneliese Michel. Der Film verweigert sich den Legenden um diesen "deutschen Voodoo-Skandal" wie auch der Versuchung, Besessenheit mit Hilfe von Spezialeffekten als Horrormovie genießbar zu machen. Auch der ethische und juristische Diskurs um die Todesumstände von Anneliese Michel spielt in Schmids Film keine explizite Rolle.

Milde Strafen

Die Eltern und die beiden Priester, die 1976 Gebetslitaneien nach dem katholischen Exorzismusritual am Bett von Anneliese Michel sprachen statt ärztliche Hilfe zu holen, wurden nach Michels Hunger- und Erschöpfungstod zu milden Strafen verurteilt. Weder wurde der damalige Würzburger Bischof Stangl für seine Zustimmung zur Verantwortung gezogen noch die Praxis der Dämonenaustreibung in der katholischen Kirche in Frage gestellt, im Gegenteil: Der neue Papst legitimierte sie jüngst durch ein Ausbildungsdekret für Exorzisten.

Mit Schuldgefühlen belastet

"Requiem" lebt vom Effekt einer nahezu dokumentarischen Inszenierung, die nicht schönt, erklärt oder historisch einordnet. Alle Personen sprechen Hochdeutsch, als solle der Reflex vermieden werden, die Geschichte als kuriose Folklore zu konsumieren. Michaela - das ist vom ersten Bild an klar - hat den Glauben an Gott und die Jungfrau Maria elementar verinnerlicht. Jede Grenzüberschreitung erlebt sie zunehmend als Ungehorsamkeit und Schuldgefühl.

Bemerkenswerte Schauspielleistung

Filmszene REQUIEM
Sandra HüllerBild: X Verleih

Sandra Hüller, die am Theater Basel ein Engagement hat, spielt die schwierige Rolle der Michaela mit bewundernswerter Sicherheit. Dabei greift sie nie zu vordergründigen Manierismen. Der Horror kommt ganz leise. Eine großartige Leistung, für die sie zu Recht den silbernen Bären bekam.

Dank der gefühlvollen, sehr persönlichen, anrührenden Geschichte, der sensiblen Spiegelung sozialer Realität und auf Grund seiner handwerklichen Qualität zählt "Requiem" zurzeit zu den besten deutschen Spielfilmen. (chr)