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"Für mich ist Chavez der Feind"

Das Interview führte Michael Knigge3. Februar 2006

Venezuelas Präsident Hugo Chavez ist ein gefährlicher Diktator, meint der frühere CIA-Chef James Woolsey. Im Interview mit DW-WORLD äußert sich Woolsey außerdem zum Anti-Terror-Kampf und der Überwachung von US-Bürgern.

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James WoolseyBild: dpa

DW-WORLD: Der venezolanische Präsident Chavez versucht, eine Koalition der neu gewählten linken Präsidenten in Lateinamerika zu bilden und fordert diese auf, gegen den US-Imperialismus - wie er ihn nennt - zu kämpfen. Sollte Chavez bei seinen Äußerungen ernst genommen werden?

James Woolsey: Man sollte totalitär denkende Diktatoren immer ernst nehmen. Häufig tun sie auch das, was sie angekündigt haben. Chavez ist zwar gewählt, aber er bewegt sich in Richtung von Präsident Putin statt in die Richtung der liberalen Demokraten, welche die Wahlen gewonnen haben und in den vergangenen Jahren bedeutende Schritte zu mehr Freiheit in Lateinamerika getan haben. Aufgrund seiner Nähe zu Castro, seiner Unterdrückung der Opposition, seines Widerstands gegen die Pressefreiheit, seiner verrückten und manchmal sehr abstoßenden Ausfälle sollten wir meiner Ansicht nach eng mit den benachbarten Demokratien in Lateinamerika zusammenarbeiten und nicht zulassen, dass er seinen Einfluss ausweitet und seine Nachbarn und andere Staaten in Zentral- und Südamerika unterdrückt. Ich glaube nicht, dass die Demokratien in Lateinamerika oder Nordamerika oder auch woanders auf der Welt mit ihm sinnvoll zusammenarbeiten können. Er scheint darauf abzuzielen, mit jedem Tag mehr zu einem Diktator zu werden und die Diktatur in Lateinamerika zu verbreiten, deshalb muss er besiegt werden. Zu entscheiden, wie wir das gemeinsam mit unseren Verbündeten in Lateinamerika machen, wird noch etwas dauern. Aber er ist keine Randfigur, die wir weiter ignorieren können. Für mich ist er der Feind.

Chavez hat auch kürzlich die USA beschuldigt, Venezuela auszuspionieren und klagte die USA an, dass diese versuche ihn zu stürzen.

Ich glaube nicht, dass die USA am Putschversuch gegen ihn vor einigen Jahren beteiligt waren. Aber wir haben jetzt eine Situation, in der wir mit offenen statt mit verdeckten Mitteln Menschenrechtsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen und Studenten- und Oppositionsgruppen helfen sollten, wie wir es in der Ukraine, in Georgien und im Libanon auch getan haben. Wir sollten beim Aufbau einer Zivilgesellschaft helfen, die sich ihm widersetzt und die schließlich zu seinem Sturz führen wird. Ich sehe keinen besonderen Grund, dass auf verdeckte Weise zu tun. Es offen zu tun, hat auch den Vorteil, dass es zeigt, dass wir ihn zunehmend als illegitimen Führer betrachten. Er wurde zwar einmal gewählt, aber eine einzige Wahl macht noch keine Demokratie.

In den USA gibt es heftige Kritik an Präsident Bush wegen des so genannten Domestic Spying, also der Überwachung des Telefon- und Datenverkehrs durch die NSA in den USA ohne richterliche Genehmigung mit Personen, die mit mutmaßlichen Terrorverdächtigen im Ausland in Kontakt stehen. Ob diese Überwachung legal oder illegal ist wird in den USA kontrovers diskutiert. Was ist Ihre Meinung dazu?

Ich werde dazu am 6. Februar vor dem Justizausschuss des US-Senats aussagen. Mein vorläufiges Urteil ist, dass es sich um ein Thema mit wichtigen Werten auf beiden Seiten handelt: die Privatsphäre auf der einen, die Sicherheit, auf der anderen Seite. In einem Konflikt um wichtige Werte sollte man sehr vorsichtig sein, zu sagen, dass ein Wert besonders wichtig und der andere zu vernachlässigen ist. Ich stimme weder mit jenen überein, die bestreiten, dass es Probleme mit dem Schutz der Privatsphäre gibt, noch mit jenen, die Sicherheitsbedenken leugnen.

Aber betrachten wir das, was der Präsident autorisiert hat. Er hat die elektronische Überwachung autorisiert, wenn jemand mit Verbindungen zu El Kaida mit oder durch jemanden kommuniziert, der eine Email- oder Telefonadresse in den Vereinigten Staaten hat. Dies ist meiner Ansicht nach völlig im Rahmen seiner Autorität als Oberbefehlshaber, die ihm durch Artikel 2 der Verfassung gegeben wird. Unser präsidiales System ist kein parlamentarisches System in dem der Kanzler oder Premierminister grundsätzlich vom Parlament abhängig ist. Der Präsident verfügt in unserem System über eine unabhängige Autorität genau wie der Oberste Gerichtshof in bestimmten Fragen. Seine wahrscheinlich wichtigste Autorität ist die des Oberbefehlshabers und der Grund warum ihm diese unabhängige Autorität an diesem heißen Sommertag in Philadelphia vor mehr als 200 Jahren gegeben wurde, war eindeutig, um Angriffe auf die USA abzuwehren.

Für wie wahrscheinlich halten Sie einen erneuten Angriff auf die USA?

Das ist keine hypothetische Situation, denn wir hatten einen Angriff auf die USA durch El Kaida. Wir wissen, dass Bin Laden über eine Fatwa eines saudi-arabischen Geistlichen verfügt, die ihn autorisiert, Atomwaffen gegen die USA einzusetzen, wenn er an sie herankommen kann. Wir wissen, dass sowohl er wie auf der schiitischen Seite des Islam Leute wie der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad und die Hisbollah darauf abzielen, die Rückkehr des Mahdi einzuleiten. Sie glauben, dass dies durch Massensterben beschleunigt wird und dass dann nach dem Kommen des Mahdi die Welt endet.

Wenn man gegen totalitäre Bewegungen kämpft - ob sie nun religiös verwurzelt sind wie die schiitischen Islamisten oder auf der sunnitischen Seite El Kaida, oder säkularer Natur wie die Nazis oder die Kommunisten im 20. Jahrhundert -, dann sollte man darauf achten, was sie sagen. Und was sie sagen ist, dass sie uns vernichten wollen. Deshalb muss sich der Präsident meiner Meinung nach als Oberbefehlshaber mit einer realen Bedrohung auseinandersetzen und der Krieg hat schon begonnen. Er begann auf jeden Fall mit dem 9. September 2001, wenn nicht schon lange zuvor und die Bedingungen, unter denen er seine unabhängige Autorität ausüben kann, sind davon abhängig, ob eine echte Bedrohung in einem echten Krieg existiert - egal ob es ein Gesetz gibt oder nicht. Ich glaube, das ist der Fall.

Die andere wichtige Bedingung, ist dass er keine Dinge unternimmt, die nicht nötig sind, um Informationen über die Personen zu gewinnen, mit denen El Kaida in den USA in Verbindung steht. Er sperrt keine Menschen ein und suspendiert die habeas corpus-Rechte, wie es sowohl Abraham Lincoln als auch Franklin Roosevelt im Zweiten Weltkrieg getan haben. Er macht keine Anstalten, dass zu tun, was Harry Truman 1951 tat, als er die Stahlwerke unter seine Kontrolle brachte, eine Maßnahme, die eher außerhalb dessen liegt, was Oberbefehlshaber in den USA normalerweise tun. Und so viel wir wissen, missbraucht er seine unabhängige Autorität auch nicht zum Einbruch in die Parteizentrale der Demokraten oder zum Erstellen einer Liste innenpolitischer Feinde wie Richard Nixon.

Deshalb würde ich sagen, dass er sich gegenwärtig insgesamt im Rahmen dessen bewegt, was ihm aufgrund von Artikel 2 an unabhängiger Autorität zusteht, egal was in einem Gesetz steht. Gesetze müssen in unsere Verfassung passen und nicht anders herum. Der Kongress kann nicht durch ein Gesetz einen Bereich für sich reklamieren, in dem der Präsident unabhängige Autorität hat. So funktioniert unser Regierungssystem nicht.

R. James Woolsey war unter Präsident Bill Clinton von 1993 bis 1995 Direktor der Central Intelligence Agency (CIA). Insgesamt war er 12 Jahre in verschiedenen Regierungspositionen unter zwei demokratischen und zwei republikanischen Präsidenten tätig.