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Die EU-Dienstleistungsrichtlinie als Schlachtfeld für Lobbyisten

Ruth Reichstein6. Februar 2006

Sowohl Gewerkschafter als auch Lobbyisten versuchen, die Haltung von EU-Abgeordneten zur Dienstleistungsrichtlinie zu beeinflussen. Dabei wird besonders das umstrittene Herkunftslandprinzip diskutiert.

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EU Parlament in Brüssel

Die EU-Abgeordnete Evelyne Gebhardt kann diese Briefe manchmal nicht mehr sehen. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch im Europäischen Parlament in Brüssel und wühlt sich durch Papierberge. Jeden Tag bekommt sie mehrere Anfragen zur Dienstleistungsrichtlinie und da sie die Berichterstatterin ist, versuchen jetzt aus 25 Ländern - kurz vor der Abstimmung im EU-Parlament - Betroffene auf sie Einfluss zu nehmen.

"Natürlich habe ich sehr viele Anfragen, E-Mails, Anrufe von Betroffenen, von Lobbyisten und Leuten, die sich Sorgen machen. Das sind die Verbände hier in Brüssel, die darauf spezialisiert sind," sagt Gebhardt. Die verschiedenen Betrachtungsweisen werden in der Urteilsbildung der Politikerin mit berücksichtigt und etwaige Probleme dadurch voraussehbar.

Umstrittenes Herkunftslandsprinzip

Einige Kilometer entfernt sitzt Catelene Passchier in ihrem Büro. Sie arbeitet für den Verband der europäischen Gewerkschaften und ist für die Dienstleistungsrichtlinie zuständig. Zudem ist sie eine der Personen, die Evelyne Gebhardt regelmäßig kontaktieren und versuchen in den vielen Gesprächen zu beeinflussen.

"Wir sagen nicht einfach nur: Was Sie wollen, ist falsch. Sondern wir schlagen Alternativen vor, legen ihnen rechtliche und technische Argumente auf den Tisch, um sie von unserer Sichtweise zu überzeugen," so Passchier. Schon seit zwei Jahren arbeitet sie an der Dienstleistungsrichtlinie, und gerade die Zeit vor der Abstimmung ist besonders arbeitsintensiv. Die Abstimmung gilt als richtungsweisend für die weiteren Verhandlungen. Deshalb plant Passchier für den 14. Februar eine große Demonstration in Strassburg und trifft sich unablässig mit den Abgeordneten.

Besonders wichtig ist ihr, dass das umstrittene Herkunftslandsprinzip gestrichen wird. Dieses sieht vor, dass ausländische Unternehmer in allen EU-Staaten ihre Dienstleistungen nach den Bedingungen ihres Heimatlandes anbieten können. Westeuropäische Gewerkschaften und Verbraucherverbände kritisieren den bisherigen Entwurf, da errungene Sozial- und Umweltstandards durch niedrigere Standards ersetzt werden können. Kritiker befürchten Lohn- und Sozialdumping, sowie Verschlechterung des Umwelt und Verbraucherschutzes.

Richtlinie für alle Branchen

Gerade das Herkunftslandsprinzip will aber Carlos Almaraz von Unice, dem europäischen Arbeitgeberverband, erhalten. "Die Richtlinie muss sein", sagt er. In einem Brief für die Plenarsitzung nehmen die Arbeitgeber Stellung zu der Abstimmung des Industrie-Ausschusses und erklären den Abgeordneten, welche Änderungen sie gerne hätten. Der Arbeitgeberverband verzeichnet erste Erfolge.

Für die Vertreter der Arbeitgeberseite war es wichtig, dass die Richtlinie auf alle Branchen angewandt wird. Die Gegner forderten immer wieder Ausnahmen. Dennoch haben die Abgeordneten im Industrieausschuss dafür gestimmt, die Richtlinie nicht auf einzelne Bereiche zu beschränken. Für Carlos Almaraz ist das ein klarer Erfolg seiner Arbeit.

Gute Kontakte

Aber auch seine Kollegin von den Gewerkschaften ist zuversichtlich. Denn Evelyne Gebhardt hat in ihrem Bericht das Herkunftslandsprinzip bereits erheblich eingeschränkt. "Jetzt", sagt Catelene Passchier, "kommt es darauf an, die anderen Abgeordneten zu überzeugen."

Passchier meint, die Gewerkschaften hätten sehr gute Kontakte zu linken Parteien und weist auf die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Abgeordneten hin. Dies gilt auch für die Christdemokraten in der EVP-Fraktion, die oft einen gewerkschaftlichen Hintergrund haben. "Auch mit einigen liberalen Abgeordneten sprechen wir regelmäßig. Gewerkschafter sind nicht nur Sozialisten," sagt Passchier.

Überzeugungsarbeit

Die Lobbyisten pflegen untereinander intensive Kontakte und treffen sich zu regelmäßigen Arbeitsessen oder Konferenzen, um ihre Informationen auszutauschen. Für Carlos Almaraz ist es zum Beispiel besonders wichtig, mit den Spezialisten der einzelnen Branchen zu sprechen, um ihre Anliegen besser zu verstehen und seine Sichtweise gegenüber den Abgeordneten mit dieser Hilfe besser begründen zu können. Denn zurzeit bleibe noch viel Überzeugungsarbeit, sagt Almaraz.

Zudem habe die Kommission eine sehr ungewöhnliche Position eingenommen, sagt Almaraz. Es sei seltsam, dass die Kommission überhaupt nicht in die Diskussion eingreife. "Wir haben das Gefühl, dass wir die Richtlinie verteidigen müssen, was eigentlich die Arbeit der Kommission wäre", so der Lobbyist. "Wir verwenden Informationen der Kommission. Manchmal haben wir das Gefühl, wir hätten die Richtlinie erarbeitet, was ja nicht der Fall ist."

In welche Richtung sich die Abgeordneten nun tatsächlich bewegen, wird sich in den nächsten beiden Wochen entscheiden. Die Debatte im Straßburger Europaparlament ist für den 14. Februar geplant.