1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kältewelle: Passanten sollen auf Obdachlose achten

Das Interview führte Steffen Leidel 22. Januar 2006

Eine Kältewelle erfasst jetzt auch Westeuropa. Obdachlosen droht der Kältetod, auch in Deutschland. Ein Interview mit dem Cellisten Thomas Beckmann, Gründer des Obdachlosenhilfevereins "Gemeinsam gegen Kälte".

https://p.dw.com/p/7p6j
Unterkünfte oft weit außerhalbBild: dpa

DW-WORLD: Von Russland her breitet sich eine Kältewelle nach Westen aus. Temperaturen von bis zu Minus 20 Grad werden erwartet. Was bedeutet das für Obdachlose?

Thomas Beckmann: Das bedeutet, dass diejenigen, die vom Alkohol gefällt in den Fußgängerzonen liegen bleiben, ganz besonders der Aufmerksamkeit der Passanten bedürfen. Man kann sich ganz schnell verkalkulieren und dann ist ein plötzlicher Erfrierungstod wahrscheinlich. Wenn die Menschen aufeinander achten, lässt sich das Schlimmste vermeiden.

Allein in Russland erfroren mehr als 20 Menschen: Rechnen Sie auch in Deutschland mit Kältetoten?

In Russland ist es ja besonders schlimm, weil die Leute zum Teil in der eigenen Wohnung erfrieren. Bei Minus 40 Grad nützt heizen oft nichts mehr, da die Scheiben undicht sind. Diese Fälle haben wir bei uns zum Glück nicht. Das Problem ist, dass Leute die unter Drogen und Alkohol stehen von der Kälte überrascht werden. Bei über 500.000 Obdachlosen in Deutschland müssen wir das Schlimmste befürchten.

Gibt es in Deutschland genügend Unterkünfte für Obdachlose bei einer solchen Kältewelle?

Die Kommunen sind durch das Bundessozialhilfegesetz verpflichtet jedem Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zur Verfügung zu stellen. Diese Räumlichkeiten werden zur Verfügung gestellt. Das Problem ist, dass die Obdachlosen lieber in die Innenstädte gehen, weil es dort für sie attraktiver ist, zu leben, als in den Vorstädten, wo nichts los ist. Die Nachtunterkünfte liegen aber meist weit draußen. Wer dann keine Fahrkarte hat, um abends dorthin zu fahren, muss zu Fuß gehen.

Müssten demnach während der Kältewelle Notunterkünfte in den Innenstädte zur Verfügung gestellt werden?

Es fehlt an city-nahen Notunterkünften. Ich bin absolut dafür, dass die U-Bahnen wie in Paris geöffnet werden oder dass die sozialen Dienste diese Menschen aufsuchen und mit Zubringerbussen – wie die unser Verein auch stellt – zu den entfernten Notunterkünften bringen. Es ist absolut erforderlich bei diesen Temperaturen, ein Notprogramm für obdachlose Menschen aufzulegen.

Ihr Verein nennt sich "Gemeinsam gegen Kälte": Was genau tun Sie?

Thomas Beckmann vor Plakat
Thomas BeckmannBild: Presse

Ich habe den Verein 1993 gegründet, nachdem zwei Frauen in der Düsseldorfer Altstadt erfroren sind. Ich habe damals gedacht, zumindest in unserem Viertel können wir es schaffen, dass wir durch Ausgabe von Schlafsäcken und Isomatten den Erfrierungstod Obdachloser verhindern. Das ist zum Glück bis heute in Düsseldorf gelungen. Leider ist in diesem Winter ein Obdachloser erfroren, aber der hatte den Schlafsack neben sich liegen. 1995 hab ich den Verein auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet. Wir sind jetzt in 100 Städten aktiv. Wir fördern die bestehenden Einrichtungen, die Wärmestuben und Notunterkünfte der Caritas, der Diakonie und der vielen Selbsthilfegruppen. Diese geschieht vor allem durch die Benefizkonzerte, die meine Frau und ich regelmäßig geben. Zurzeit bin ich auf der größten Tournee meines Lebens zu Gunsten Obdachloser und fahre durch 50 deutsche Städte und spiele die Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach.