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Kommentar: Ärzte im Schraubstock

Karl Zawadzky18. Januar 2006

Mit einer Großdemonstration in Berlin erreicht die Protestwoche der Ärzte am Mittwoch einen Höhepunkt. Die Mediziner klagen über zu geringe Bezahlung und zu viel Bürokratie. Zu Recht? Ein Kommentar von Karl Zawadzky.

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Die Ärzte sind wütendBild: dpa - Report

Der Zorn der Ärzte, ob sie Angestellte im Krankenhaus oder niedergelassene Mediziner mit eigener Praxis sind, ist verständlich. Assistenzärzte und immer mehr auch Oberärzte im Krankenhaus sehen sich ausgebeutet. Die Arbeitszeiten mit massenhaft schlecht oder gar nicht bezahlten Überstunden sind in vielen Kliniken schlicht eine Zumutung und darüber hinaus eine Gefahr für Leib und Leben der Patienten.

Dabei sehen sich die Geschäftsleitungen der Krankenhäuser selbst als Opfer. In der Tat: Die Kliniken sind enormen Sparzwängen ausgesetzt und, wenn sie mit dem knappen Geld nicht auskommen, von Schließung bedroht. Krankenhäuser werden geschlossen oder aus kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft an Krankenhauskonzerne abgegeben. Unter dem Sparzwang werden in den verbleibenden Kliniken Betten abgebaut und Stationen geschlossen; die Verweildauer der Patienten in den Krankenhäusern geht Jahr für Jahr zurück.

Goldene Zeiten sind vorbei

Unter der Politik des knappen Geldes leiden auch die Praxisinhaber. Die Zeiten, in denen niedergelassene Ärzte sich gar nicht dagegen wehren konnten, wohlhabend zu werden, sind längst vorbei. Heute kreisen über vielen Praxen die Pleitegeier. Zwar stehen Ärzte nach wie vor hoch im öffentlichen Ansehen, aber die Realität im Krankenhaus wie in der Praxis ist niederschmetternd. Die Aussichten sind trostlos.

Das gilt im Übrigen nicht nur für die finanzielle Ausstattung der Ärzte im Krankenhaus wie in der Praxis, sondern auch für die Arbeit der Mediziner. Sie kämpfen nicht nur gegen Erkrankungen ihrer Patienten, sondern zeitlich zumindest in gleichem Maße gegen bürokratische Auflagen an.

Ärzte wandern aus

Das ist der Grund dafür, dass einerseits immer mehr junge Ärzte das Land verlassen und in anderen europäischen Ländern sowie in den USA zu deutlich besseren Arbeitsbedingungen tätig werden und viele von denen, die nach wie vor ihre berufliche Zukunft in Deutschland sehen, in dieser Woche aus Protest ihre Praxen schließen sowie am Mittwoch in Berlin demonstrieren werden.

Die Ärzte sehen sich in einem Schraubstock zwischen den Erwartungen der Patienten und den von der Politik diktierten Sparzwängen eingeklemmt. Am Ende der längst laufenden Entwicklung steht die Rationierung medizinischer Leistungen. Dabei versprechen die Gesundheitsministerin, die Parteien und auch die Krankenkassen der Bevölkerung Leistungen, die die Ärzte im Krankenhaus wie in der Praxis immer weniger erfüllen können. Das treibt die Mediziner auf die Straße.

Falsche Rahmenbedingungen gesetzt

Dabei ist der Medizinbetrieb in Deutschland nicht, wie es von außen betrachtet vielleicht aussehen mag, politischer Willkür ausgesetzt, sondern die Rahmenbedingungen haben sich zum Nachteil dieses Sektors in geradezu dramatischer Weise verändert. Seit vielen Jahren nehmen die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ab; das Ergebnis sind sinkende, bestenfalls stagnierende Beitragseinnahmen der Krankenkassen.

Dem steht ein medizinischer Fortschritt gegenüber, der einerseits die Lebenserwartung kontinuierlich ansteigen lässt, andererseits aber mit enormen Kosten verbunden ist. Hinzu kommt die demographische Entwicklung. Schon bald wird die Zahl der Deutschen im erwerbsfähigen Alter abnehmen und im Verhältnis dazu die Zahl der Alten im Lande dramatisch zunehmen. Das bedeutet geringere Einnahmen der Krankenkassen bei höheren Anforderungen für den Gesundheitsschutz.

Höhere Belastungen für Patienten

Das heißt: Ganz unabhängig von der Einkommenssituation der Ärzte steht der Medizinbereich in Deutschland - übrigens auch in anderen vergleichbaren Industriestaaten - vor einer enormen Herausforderung. Kräftig steigende Ausgaben sind unabwendbar, wenn jeder Kranke die für ihn bestmögliche medizinische Versorgung erhalten soll. Das bedeutet kräftig steigende Krankenkassenbeiträge. Genau die soll es aber im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die die Hälfte der Beiträge beisteuern, nicht geben.

Das Ergebnis ist absehbar: Auf die Patienten kommen noch höhere Belastungen zu - in Form von Beiträgen oder Zuzahlungen. Oder es wird zu einer Rationierung medizinischer Leistungen kommen. Es ist Aufgabe der Politik, dies den Bürgern deutlich zu machen und zum Beispiel für eine Rationierung die Verantwortung zu übernehmen. Recht haben die Ärzte, wenn sie sich dagegen wehren, dass die Politik Versprechungen macht, die finanziell nicht gedeckt sind oder die zu Lasten der Beschäftigten des Medizinbetriebs gehen.