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Von den mangelnden Gemeinsamkeiten im transatlantischen Raum

13. Januar 2006

Der Kölner Politologe Thomas Jäger erklärt in einem Gastbeitrag für DW-WORLD, warum die transatlantischen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts noch immer keine feste Form gefunden haben.

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Die Erwartungen an den ersten Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in Washington sind groß. Nach der robusten USA-Politik von Bundeskanzler Schröder - vorangetrieben vor allem vor dem Irakkrieg - sollen die bilateralen Beziehungen insbesondere auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik verbessert werden. Es ist auch möglich, dass ein solches Ergebnis öffentlich kommuniziert wird – als Ausdruck symbolischer Politik. Das heißt aber noch nicht, dass die Beziehungen in der Substanz auch wirklich besser werden.

Unvereinbare weltpolitische Rollen

Beide Regierungen stehen vor dem Problem, dass die transatlantischen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts noch keine feste Form gefunden haben. Der Grund ist, dass die weltpolitischen Rollen der USA und der europäischen Staaten derzeit nicht miteinander vereinbar sind. Die EU will sicherheitspolitisch mit den USA auf Augenhöhe agieren, ohne gleichartige Handlungsfähigkeit auszubilden. Die USA wollen die Europäer als permanente Verbündete, ohne ihnen wirksame Mitsprache bei den Entscheidungen einzuräumen. Dieser Unvereinbarkeit wegen hat sich seit dem Ende der 1980er Jahre weder ein neues Gleichgewicht zwischen Europa und den USA ausgebildet, noch konnte eine amerikanische Hegemonie begründet werden.

Unterschiedliche Wahrnehmung von Bedrohung

Deshalb entwickelten sich die sicherheitspolitischen Beziehungen auseinander. Das hängt insbesondere damit zusammen, dass sich in den europäischen Öffentlichkeiten andere Bedrohungswahrnehmungen ausgebildet haben als in den USA. Während in den USA Terrorismus als die zentrale Bedrohung angesehen wird, ist dies in Deutschland nicht der Fall. Auch für den Umgang mit so genannten Schurkenstaaten werden unterschiedliche Wege bevorzugt, auf amerikanischer Seite der militärische Druck, auf europäischer Seite die zivile Entwicklung.

So sinken die sicherheitspolitischen Gemeinsamkeiten im transatlantischen Raum – allerdings ohne dass sie in Europa gleichzeitig wachsen. Im Zuge dieses Prozesses fällt es den Regierungen immer schwerer, eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu verabreden. Der Grund ist eben, dass es keine gemeinsam wahrgenommene Bedrohung gibt, für deren Abwehr die Gesellschaften Kosten zu tragen bereit sind. Im Umgang mit dem Iran wird man diesen Prozess in den nächsten Monaten erneut beobachten können. Die in diesem Dilemma derzeit favorisierte Lösung lautet zwar, dass sich jeweils neue Koalitionen der Willigen bilden sollten, um auf spezifische Bedrohungen zu reagieren. Doch darin ist das Ende der transatlantischen Allianz angelegt.

Klandestine Sicherheitspolitik

Doch stellt die öffentlich sichtbare Sicherheitspolitik nur einen Teil der transatlantischen Kooperation auf diesem Gebiet dar. Daneben existiert die klandestine Sicherheitspolitik, deren Bedeutung im gleichen Maß steigt, in dem die sichtbare Sicherheitspolitik schwieriger zu gestalten ist. Unterstützt wird dieser Prozess durch einen Wandel im politischen System der USA, in dessen Verlauf sich die Exekutive zunehmend von parlamentarischen Kontrollen lösen konnte. Die Bedeutung der klandestinen Sicherheitspolitik hat in den 1990er Jahren erheblich zugenommen. Da anders als in der öffentlich sichtbaren Sicherheitspolitik die Regeln auf diesem Gebiet weitgehend kontrollierbar sind, ist die Kooperation mit den USA hier leichter zu realisieren. Doch haben die Veröffentlichungen der letzten Wochen - unter anderem um geheime Gefängnisse - verdeutlicht, dass die Akzeptanzschwelle europäischer Gesellschaften auch hier niedriger ist.

Während die Chancen für eine Vertiefung der Kooperation auf dem Gebiet der klandestinen Sicherheitspolitik gut sind, stehen sie für die sichtbare Sicherheitspolitik schlechter. Deutschland und die USA verfügen über unterschiedliche Bedrohungsanalysen und bevorzugen unterschiedliche sicherheitspolitische Instrumente. Die Gesellschaften nehmen verschiedene Bedrohungen wahr und die Wahrnehmungsschere geht immer weiter auseinander. Dadurch wird für die deutsche Regierung der Handlungsspielraum definiert, in dem sie sicherheitspolitisch agieren kann, ohne dass die Bevölkerung der Regierung misstraut.

Thomas Jäger

Thomas Jäger hält den Lehrstuhl für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln. In einer seiner jüngsten Publikationen widmet er sich den transatlantischen Beziehungen: Thomas Jäger, Alexander Höse, Kai Oppermann (Hrsg.): Transatlantische Beziehungen. Sicherheit – Wirtschaft – Öffentlichkeit, Wiesbaden, VS-Verlag für Sozialwissenschaften, 2005.