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Streit um "Gesinnungstests" in Baden-Württemberg

Baha Güngör6. Januar 2006

Eine Neuerung bei Einbürgerungsverfahren hat in Baden-Württemberg zum Streit darüber geführt, ob Menschen mit anderen kulturellen und religiösen Wurzeln nach ihrer "Gesinnung" befragt werden dürfen.

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Großer Protest bei türkischen Migranten zu den neuen EinbürgerungsfragenBild: dpa

Die Angst vor dem islamischen Fundamentalismus seit den Anschlägen vom 11. September und die krampfhaften Bemühungen um die Integration vor allem der türkischen Moslems in Deutschland treiben mitunter seltsame Blüten: In Baden-Württemberg werden seit Jahresbeginn einbürgerungswillige Moslems mit einem Fragenkatalog des Innenministeriums konfrontiert, mit dem der Einklang zwischen den Gedanken der Betroffenen und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Bundesrepublik Deutschland geprüft werden soll. Betroffen sind Menschen aus insgesamt 57 Mitgliedsstaaten der Organisation Islamische Konferenz (OIC), zu denen aus Europa neben der Türkei auch Albanien gehört.

Bekenntnis zu deutscher Werteordnung

Das bislang übliche Bekenntnis zu den Werten der deutschen Gesellschaft wie Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaat und Gleichberechtigung sowie weiteren im Grundgesetz verankerten Prinzipien reicht nunmehr in Baden-Württemberg nicht mehr aus. Dort wird jetzt nach möglichen Reaktionen etwa nach Feststellung der Homosexualität ihrer Kinder, auf voreheliche Beziehungen, auf Verselbstständigung der Töchter oder nach Einschätzung der Blutrache gefragt. Damit soll abgeklopft werden, ob die Befragten bereit sind, das Grundgesetz anstelle des Koran, des heiligen Buches der Moslems, zu akzeptieren.

Der Referatsleiter im Stuttgarter Innenministerium, Reiner Grell, rechtfertigt den Leitfaden für Beamte mit Umfragen unter muslimischen Migranten in Deutschland. Diese Umfragen würden laut Grell Zweifel an ihrer Bereitschaft, die Werteordnung zu akzeptieren, wecken. Auslöser war eine Studie, der zufolge 21 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime der Meinung sind, dass das Grundgesetz und der Koran nicht miteinander vereinbar seien.

Gefahr der Diskriminierung durch Fragenkatalog

Zudem will Referatsleiter Grell den Respekt der Eltern vor ihren Kindern prüfen: "Mir persönlich passt als Vater auch nicht jeder Freund, den unsere Töchter anschleppen. Und ich würde vielleicht argumentativ versuchen, sie von diesem oder jenem abzubringen. Aber wenn ein Muslim sagt, ich würde niemlas zulassen, dass meine Tochter einen Christen heiratet oder einen Atheisten, selbst wenn sie das von sich aus will, dann ist eine Grenze überschritten."

Neben Fragen nach religiösen Reflexen im Privatleben werden auch Einschätzungen abgeklopft, um die Befürwortung oder Ablehnung von Aktivitäten militanter Fundamentalisten oder gar Terroristen zu ermitteln. Der Leitfaden gilt in Baden-Württemberg jedoch nicht für alle Einbürgerungsgespräche - sondern nur für Gespräche mit Migranten aus den 57 OIC-Staaten. Der Vorsitzende des Bundesausländerbeirats, Mehmet Kilic, sieht deshalb die Gefahr der Diskriminierung. Und seiner Meinung nach trifft es die Falschen, da man mit diesen Fragen den so genannten "Schläfern" nicht auf die Schliche kommen werde, die sich passende Antworten schon im Voraus zurechtlegen würden. "Nur die armen Leute, die sich hier sich eine Rente verdient haben und mit der Verfassung überhaupt keine Probleme hatten, werden durch Fragestellungsarten und Verhinderungsversuchen von Einbürgerungsbehörden außen vor gelassen", so Kilic. Hiervon gehe nach Ansicht des Vorsitzenden des Ausländerbeirats die Gefahr der Diskriminierung aus.

Rechtliche Zulässigkeit umstritten

Unterricht türkische Schülerinnen mit Kopftuch im Schulzentrum in Bremen
Integrationspolitischer Schaden durch rechtlich fragwürdiges VerfahrenBild: AP

Der Innen-Experte der Unionsfraktion im Bundestag, Wolfgang Bosbach, hat sogar Zweifel, dass die Einbürgerung wegen unerwünschter Antworten überhaupt verweigert werden könnte.

Indes haben Vertreter muslimischer und türkischer Organisationen bereits Protest angekündigt: Der Zentralrat der Muslime in Deutschland erwägt eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wegen Diskriminierung. Die türkische Gemeinde in Deutschland hat sich nach den Worten ihres Vorsitzenden Kenan Kolat an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gewandt, um das neue Prüfungsverfahren in Baden-Württemberg zu unterbinden. Und der Direktor des Zentrums für Türkei-Studien in Essen, Faruk Sen, will über die Europäische Union Druck gegen die umstrittenen Maßnahmen machen. Er betont, dass so schnell wie möglich nach Beispiel Großbritanniens ein Anti-Diskriminierungsgesetz verabschiedet und umgesetzt werden müsse, damit in Deutschland alle Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit verschiedenen Religionen in Frieden zusammenleben können.

Warnungen vor negativen Folgen

Sen warnt auch vor negativen Auswirkungen für die Integrationspolitik und für die Bemühungen um ein entspanntes Miteinander in Deutschland. Zwar habe seiner Ansicht nach jedes Land das Recht, mit bestimmten Fragen bei der Einbürgerung von Ausländern etwas über die Loyalität zur gesellschaftlichen Ordnung zu erfahren. Wenn aber wie in Baden-Württemberg 30 Fragen nur gegen Moslems gerichtet werden, dann sei das nichts anderes als religiöse Ausgrenzung und Rassismus, so der Türkei-Experte. "Diese Entwicklung steht auch im krassen Widerspruch zum Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes."