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Kommentar: Geistlose Nachdenk-Übung auf Schloss Hampton Court

Bernd Riegert, zurzeit Hampton Court28. Oktober 2005

Die Erwartungen an das EU-Gipfeltreffen in Hampton Court bei London waren äußert niedrig. Und sie wurden voll erfüllt. Ein Kommentar von Bernd Riegert.

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Ein Ergebnis hat der Aufmarsch der 25 EU-Fürsten im prunkvollen Palast des berühmten englischen Königs Heinrich VIII. nicht gebracht. Da dieser Ausgang dem britischen Gastgeber wohl schon schwante, deklarierte er das verkürzte Treffen als informell. Die beiden großen Lager innerhalb der EU, die Liberalisierer und die Bewahrer, prallten aufeinander. Sie hielten sich gegenseitig vor, ihr jeweiliges Sozialmodell, freie Marktwirtschaft versus soziale Marktwirtschaft, sei das wahre.

Die Tatsache, dass der scheidende Bundeskanzler Gerhard Schröder am Donnerstag (27.10.2005) seinen letzten Gipfelauftritt noch einmal zu einer Breitseite in Richtung EU-Kommission nutzte, machte eine zukunftsorientierte Diskussion nicht einfacher. Nun hofft EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei der künftigen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf mehr Verständnis für seine Forderung nach weiterer Öffnung der Märkte und Deregulierung.

Einigkeit in der Sache

Im Prinzip stimmen die EU-Granden der Analyse, die EU-Kommissionchef Barroso in einem Strategiepapier aufgeschrieben hat, zu. Sie ist nicht neu, sondern beklagt wie viele Papiere zuvor - vom EU-Gipfel in Lissabon im Jahr 2000 bis heute - Reformstau, mangelnde Flexibilität der Arbeitsmärkte und Sozialsysteme, niedriges Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit und zu niedrige Ausgaben für Bildung und Forschung.

Die Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung sind klar formuliert, nur sie in den Nationalstaaten in konkrete Handlungen umzusetzen, fällt sehr schwer, weil sie mit spürbaren Einschnitten verbunden wären. Die Agenda 2010, die Schröder sich selbst lobend als leuchtendes Beispiel anführte, kann nur ein Anfang sein auf dem Weg. Frankreich, Italien und andere EU-Staaten scheuen sich sogar noch, diesen ersten Schritt zu tun.

Uneinigkeit über die Lösung des Problems

Der Vorschlag des britischen Premiers Tony Blair für Arbeitnehmer, die wegen der Globalisierung entlassen werden, einen Sozialfonds einzurichten, passt eigentlich nicht zu dessen Wirtschaftspolitik. Der Fonds kann nur als eine Art "Beruhigungspille" gegen französische Bedenken gewertet werden. Blair hofft, so den französischen Präsidenten Jacques Chirac für eine Beilegung des Haushaltsstreits in der EU bewegen zu können.

Doch im Moment sieht es so aus, als würde dieser Fond niemals eingerichtet werden, weil die großen Nettozahler schlicht nicht bereit sind, die nötigen Milliarden aufzubringen. Der estnische Premier brachte es auf den Punkt: warum sollen Firmen und Staaten, die die Globalisierung verschlafen oder nicht mehr konkurrenzfähig sind, auch noch belohnt werden?

Neues Fass geöffnet

Was bleibt nach der Nachdenk-Übung auf Hampton Court, ist allenfalls ein kleiner gemeinsamer Nenner, auf dem man nun weiter aufbauen muss. Ob es Blair gelingen wird, wie versprochen, im Dezember den Haushaltsstreit zwischen Modernisierern und Bewahrern zu lösen, ist sehr fraglich. Nach wie vor stehen sich Nettozahler, Kommission, die Briten mit ihrem Beitragsrabatt und die Franzosen mit den Agrarsubventionen unversöhnlich gegenüber.

Welche Institutionen und welchen rechtlichen Rahmen die EU in Zukunft braucht, wurde fahrlässigerweise nicht besprochen. Das Verfassungsprojekt liegt nach den negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden weiter auf Eis. Zusätzlich hat der französische Präsident ein neues Fass aufgemacht. Er drohte erneut mit einem Veto gegen die europäische Position bei den laufenden Welthandelsgesprächen. Dies könnte zu einer ernsten Krise führen.

In Hampton Court kam kein gemeinsamer europäischer Geist über die Staats- und Regierungschefs, sondern allenfalls spukten wie seit Jahrhunderten Heinrich VIII. und zwei seiner sechs Gemahlinnen durch die Gemächer.