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Vernichtendes Urteil für die EU-Migrations-Politik

Bernd Riegert, Brüssel8. Oktober 2005

Das Flüchtlingsdrama in den spanischen Enklaven beschäftigt nicht nur Spanien, sondern die gesamte Europäische Union. Von Seiten der EU passiert aber zu wenig, meint Bernd Riegert in seinem Kommentar.

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Bernd Riegert

Noch höhere Zäune werden auf Dauer keinen Flüchtling aus Afrika an dem Versuch hindern, Europa zu erreichen. Und kurzfristig kann die Brüssler EU-Zentrale wenig ausrichten, um das Flüchtlingsdrama in Ceuta und Melilla abzumildern. Im Kern fällt Migrations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik in die Hoheit der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, über die sie auch mit Argus-Augen wachen. Seit dem Gipfeltreffen 1999 in Tampere gab und gibt es Anläufe, die Einwanderungs- und Asylpolitik EU-weit zu regeln. Den letzten Vorschlag hat die EU-Kommission im September auf den Tisch gelegt. Doch über Minimalstandards und Rahmenvorschläge, aus denen sich die Innenminister der Mitgliedstaaten das herauspicken, was ihnen genehm ist, ist man nicht hinaus gekommen.

Schily blockiert

Die Marschrichtung geben die fünf größten EU-Staaten vor - Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien. Diese Gruppe der Fünf hat sich auf eine schärfere Abschiebepraxis geeinigt, aber von einem gemeinsamen Konzept für legale Einwanderung zur Lenkung der Migrationsströme ist man noch weit entfernt. Hier blockiert leider vor allem der deutsche Innenminister Otto Schily.

Konzept der sicheren Drittstaaten

Schily und immer mehr seiner Kollegen setzen auf das Konzept der so genannten sicheren Drittstaaten, in die illegale Einwanderer ohne viel Federlesens abgeschoben werden können. Das Problem wird einfach ausgelagert oder vor die Außengrenzen der EU verschoben. Mit den nordafrikanischen Staaten verhandelt die EU-Kommission über Rückführungsabkommen. Finanzspritzen werden angeboten, um Flüchtlingslager in den Transitländern Marokko, Algerien oder Libyen zu finanzieren. Diese Lager nennt die EU beschönigend nicht Lager, sondern "Rückkehrer-Zentren". Das Parlament in Brüssel opponiert allerdings berechtigterweise dagegen, Staaten wie Libyen oder China einfach als "sichere Drittstaaten" zu deklarieren, ohne sich darum zu kümmern, was mit den Abgeschobenen passiert.

Die Mühlen der Europäischen Union mahlen langsam, seit Jahren können sich die Innenminister nicht zu gemeinsamer Politik durchringen. Das ist der eigentliche Skandal, denn unterdessen sterben jedes Jahr hunderte, wenn nicht tausende Menschen beim Versuch, das Mittelmeer in Richtung Norden zu überqueren. Fernsehkameras wie jetzt in Ceuta und Melilla sind allerdings selten dabei.

Migration in überalterte Gesellschaften

Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und viele Menschenrechtsorganisationen werfen der EU vor, sie würden die einschlägigen Flüchtlingskonventionen nicht einhalten. Ein vernichtendes Urteil für die europäische Migrationspolitik. EU-Innenkommissar Franco Frattini will deshalb mehr für die positiven Auswirkungen werben, die legale Migration in die überalternden Gesellschaften Europas haben könnte. Nötig ist - und da sind sich auch alle Akteure in Brüssel einig - eine bessere Entwicklungs- und Handelspolitik, die die Bedingungen in den Herkunftsländern verbessert. Doch auch hier sind Fortschritte nur mühsam zu erreichen. Auf Effekte kann man nur in langen Zeiträumen hoffen.

Übertriebenes Problem

Die dramatischen Bilder jetzt aus Marokko und zuvor aus Lampedusa sollten nicht darüber hinweg täuschen: Von den nackten Zahlen her ist das Problem eher relativ klein. Etwa 500.000 illegale Einwanderer schaffen es jährlich, in die Festung Europa einzudringen. Sie stellen für eine EU-Bevölkerung von 450 Millionen keine Bedrohung dar. Von "Flut" oder "Schwemme" kann keine Rede sein. Weltweit, so die Vereinten Nationen, leben 200 Millionen Menschen als Migranten, also gerade einmal 0,25 Prozent davon kommen nach Europa. Die allermeisten Flüchtlinge wandern aus armen Ländern in andere arme Länder.