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Arbeitslosigkeit im Wirtschaftswunderland

Gui Hao25. Juli 2005

Das Thema Arbeitslosigkeit war im kommunistischen China lange ein Tabuthema. Dabei ist die Zahl erschreckend hoch: 174 Millionen suchen einen Job. Die Machthaber Chinas fürchten den Aufstand der intellektuellen Elite.

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Junge Arbeitslose in ChinaBild: AP

In China befinden sich momentan drei Millionen Hochschulabsolventen auf der Suche nach Arbeit, denn auch in der rasant wachsenden chinesischen Volkswirtschaft gibt es nicht genügend Arbeitsstellen. Experten sehen einen potenziellen sozialen Unruheherd in der immer größer werdenden Bevölkerungsgruppe der arbeitslosen Intellektuellen.

Jeder vierte Student ohne Arbeit

Dabei ist Arbeitslosigkeit bei Hochschulabsolventen in China nichts Ungewöhnliches. So fanden nach amtlicher Statistik im Jahr 2004 nur drei von vier Absolventen innerhalb von sechs Monaten nach dem Abschluss eine Arbeit. Auch in diesem Jahr strebe man die selbe Quote an, heißt es aus dem chinesischen Bildungsministerium. Allerdings wird in diesem Jahr mit einem massiven Zuwachs der Absolventenzahl, nämlich von 20 Prozent, auf rund 2,8 Millionen gerechnet. Das würde bedeuten, dass 700.000 Studenten nach dem Abschluss zunächst ohne Arbeit bleiben.

Zahlen geheim gehalten

Das Thema Arbeitslosigkeit ist in China seit langem aktuell, allerdings wird es von den Behörden verharmlost, realistische Zahlen werden geheim gehalten, weil man Unruhe befürchtet. Von "Arbeitslosen" wird von offizieller Seite in China überhaupt erst seit Mitte der neunziger Jahre gesprochen, gleichzeitig wurde der Sprachgebrauch von den "Freigesetzten" eingeführt. Diese sind die "überschüssigen" Arbeitskräfte maroder Staatsbetriebe, die dort keine Beschäftigung mehr finden und versuchen sollen, auf dem freien Arbeitsmarkt unterzukommen. Sie erhalten einen minimalen Unterhaltszuschuss und - theoretisch - staatliche Hilfe bei der Jobsuche. Auch die Hochschulen in China sorgen nicht mehr automatisch für eine Beschäftigung ihrer Absolventen, wie es noch vor zehn Jahren war.

174 Millionen Menschen konkurrieren um Jobs

Professor Yao Yuqun, Soziologe an der Pekinger Renmin- Universität, erklärt die Entwicklung damit, dass es immer mehr Studienanfänger gibt. Die Anzahl hat sich innerhalb weniger Jahre verdreifacht. Außerdem könnten die Arbeitgeber mit diesem Tempo nicht mitziehen und in entsprechendem Umfang neue Arbeitsplätze schaffen, so Yuqun weiter. Die Konsequenz daraus ist: Die Absolventen machen entweder mit ihrem Studium weiter oder sie machen sich selbständig. Dabei präzisiert Yuqun, dass "sich selbständig machen" in diesem Kontext nicht meint, eine Firma zu gründen, sondern vielmehr, dass viele Studenten nach ihrem Abschluss Metzger oder gar Straßenhändler werden. Viele leben lediglich von der mageren Sozialhilfe. Bei der Jobsuche stehen sie in Konkurrenz mit 24 Millionen "Freigesetzten" in den Städten, vom 150-Millionen-Heer der ländlichen Arbeitslosen ganz zu schweigen.

Die Reichen wandern ab

Schlevogt Business School
Chinesische Studenten in DeutschlandBild: AP

Die Studenten aus wohlhabenden Familien werden ins Ausland zum Studium geschickt, in die USA, nach Australien, England oder Deutschland. Aber auch sie sehen sich nach ihrer Rückkehr mit harter Konkurrenz konfrontiert. Die Stadt Shanghai hat spezielle Gewerbegebiete, also Technologieparks und ähnliches, ausgewiesen, damit sich die jungen Menschen nach dem Studium im Ausland dort selbstständig machen können. Mao Dali, der Vize-Chef der Shanghaier Behörde für Personal-Angelegenheiten wirbt für die Projekte: "Shanghai hat bereits zehn solche Gelände. Die Hochschulabsolventen können dort Firmen gründen, wir geben ihnen dazu Hilfestellung. Außerdem profitiert man von einer Reihe steuerlicher Vergünstigungen."

Lieber arbeitslose Bauern als arbeitslose Intellektuelle

Alles gut und schön, aber für eine Firma braucht man Startkapital. Das Studium im Ausland ist teuer und stellt somit selbst schon eine kräftige Investition dar. Die Banken wiederum sind bei der Kreditvergabe restriktiv, gemäß der staatlichen Politik, die eine sogenannte "weiche Landung" der boomenden chinesischen Volkswirtschaft anstrebt. Der kommunistischen Führung wären arbeitslose Bauern jedenfalls lieber als arbeitslose Intellektuelle. Denn in den letzten 50 Jahren haben die chinesischen Intellektuellen bei fast allen sozialen Unruhen eine zentrale Rolle gespielt. Auch Jörg Rudolph vom Ostasieninstitut in Ludwigshafen geht davon aus, dass die Gefahr für die Machthaber groß wird, wenn sich unzufriedene Intellektuelle mit dem Volk, zum Beispiel mit den Bauern, zusammentun, und dort beratend oder sogar organisierend tätig werden. Dann würde eine gefährliche Situation für die Machthaber entstehen. Das soll aus deren Sicht auf jeden Fall unterbunden werden - durch Verhaftung von Anwälten und ähnliche Maßnahmen.