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Die acht wichtigsten Fragen zur EU-Verfassung

Marcus Bösch25. Mai 2005

Gehört und gelesen haben fast alle von der "EU-Verfassung". Aber worum es da eigentlich geht? Fragen über Fragen. Hier die wichtigsten acht. Für alle, die wissen wollen, worum es in Europa im Moment eigentlich geht:

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Alles ganz einfach?Bild: AP
  • Was ist eigentlich eine Verfassung?
  • Wozu brauchen wir ein Europäische Verfassung?
  • Was steht da drin?
  • Was ändert sich, wenn die Verfassung in Kraft tritt?
  • Welche Vorteile bringt mir die Verfassung persönlich?
  • Warum werde ich nicht gefragt?
  • Wann tritt die Verfassung überhaupt in Kraft?
  • Was passiert wenn die Verfassung abglehnt wird?


Was ist eigentlich eine Verfassung?

Eine Verfassung ist ein Rechtsakt, der die Grundordnung eines Staates oder eines Staatenbundes festlegt. Das heißt, in einem Dokument finden sich wichtige Antworten auf zentrale Fragen: Wie funktionieren die Organe? Welche Grundrechte haben die Bürger? Welche Werte werden vertreten?

Die erste demokratische Verfassung in der Neuzeit gab es in den Vereinigten Staaten von Amerika (1787). Vier Jahre später wurde in Polen die erste Verfassung in Europa verabschiedet.

Wozu brauchen wir eine europäische Verfassung?

Der "Vertag über eine Verfassung für Europa" wurde ausgearbeitet, um den Anforderungen eines erweiterten Europas gerecht zu werden. Die Europäische Verfassung soll durch einen einzigen Rechtsakt alle derzeitigen europäischen Verträge ersetzen.

Ein Europa mit 25 Mitgliedsstaaten und 450 Millionen Einwohnern (und demnächst noch mehr) soll so demokratischer, transparenter und effizienter werden. Die Union will sich damit ihren Bürgern nähern und stärker als geschlossene und geeinte Kraft im internationalen System auftreten.

Nationale Verfassungen wie das deutsche Grundgesetz werden durch die Europäische Verfassung übrigens nicht überflüssig. Sie bestehen unverändert weiter.

Was steht da drin?

Der Vertrag, der je nach Ausgabe zwischen 352 und 482 Seiten umfasst, ist in vier Teile untergliedert:

  • In Teil I. werden die Werte, Ziele, Zuständigkeiten, Entscheidungsverfahren und Organe der EU definiert.
  • Teil II.
  • behandelt die sogenannte "Charta der Grundrechte". Mit der Charta sind die auf Unionsebene geltenden Grundrechte erstmals umfassend schriftlich und in einer verständlichen Form niedergelegt. Sie orientiert sich an der Europäischen Menschenrechtskommission.
  • Teil III.
  • beschreibt die internen und externen Politikbereiche, Maßnahmen und die Arbeitsweise der EU. Zum Beispiel: Die Verwirklichung des Binnenmarkts, Niederlasssungsfreiheit oder die Währungspolitik.
  • Teil IV.
  • hat den Titel "Allgemeine und Schlußbestimmungen". Hier werden unter anderem die Symbole der Union näher definiert. Auch die Verfahren zur Annahme und Änderung der Verfassung finden sich im vierten Teil der Verfassung.

Was ändert sich, wenn die Verfassung in Kraft tritt?

Demokratischer und effizienter soll die wachsende Europäische Union werden. Die Verfassung ist ein Kondensat aus den vier großen EU-Vertägen der letzten zwölf Jahre, enthält aber auch völlig neue Bestimmungen. Zu den wesentlichen Änderungen zählen:

  • Erstmals soll ein hauptamtlicher Präsident an der Spitz der Union stehen. Der EU-Präsident soll die Arbeit des Europäischen Rates koordinieren, Gipfeltreffen vorbereiten und die EU nach außen vertreten.
  • Neu eingeführt werden soll auch das Amt eines EU-Außenministers. Er soll zugleich Voirsitzender des Außenministerrats und Vizepräsident der EU-Kommission sein.
  • Die Entscheidungen im Ministerrat sollen einfacher werden. Nur in Ausnahmefällen soll das bisherige Prinzip der Einstimmigkeit gelten.
  • Das Mitentscheidungsrecht des Europaparlaments wird wesentlich erweitert. Parlament und Ministerrat entscheiden gleichberechtigt über europäische Gesetze.
  • Erstmals verankert wird die Möglichkeit für die Mitgliedsstaaten, aus der EU auszutreten.

Welche Vorteile bringt mir die Verfassung persönlich?

Tritt die Verfassung in Kraft, dann erhält jeder Bürger der Europäischen Union die Unionsbürgerschaft als quasi Zugabe zur nationalen Staatsbürgerschaft. Damit verbunden sind zusätzliche Rechte. So kann jeder EU-Bürger zum Beispiel in den Mitgliedsstaaten ohne Zeitlimit reisen und in jedem Land verweilen, so lange er Lust hat.

Jeder EU-Bürger erhält zudem das Recht Petitionen an das Europäische Parlament zu richten, er kann sich bei Beschwerden an den Europäischen Bürgerbeauftragten wenden oder - zusammen mit 999.999 EU-Bürger - ein "Initiativrecht" wahrnehmen und so der Kommission direkt ein Gesetz zur Verabschiedung vorschlagen.

Warum wurde ich nicht gefragt?

Ausgearbeitet wurde der Verfassungsentwurf vom sogenannten "Verfassungskonvent", der sich aus den Regierungs- und Parlamentsvertretern der Mitgliedstaaten, der zehn Beitrittsländer und -kandidaten (Rumänien, Bulgarien, Türkei) sowie Vertretern des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission zusammensetzte.

Um die Verfassungs-Debatte auf eine breitere Grundlage zu stellen und die Gesamtheit der Bürger einzubeziehen, wurde eine Plenartagung des Konvents der Anhörung der Zivilgesellschaft gewidmet. Organisationen aus den Bereichen Kultur, Politik und Wirtschaft konnten dort ihren Standpunkt vortragen. Einzelpersonen außerhalb dieser Organisationen hingegen konnten zentrale Dokumente zwar im Internet einsehen, Ideen und Vorschläge in Internetforen unterbreiten, aber nicht direkt in den Prozess eingreifen.

Wann tritt die Verfassung in Kraft?

Bevor die Verfassung in Kraft treten kann, muss sie von allen 25 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Fraglich ist jedoch ob der Vetrag über die Verfassung in Europa überhaupt in allen EU-Ländern auf die notwendige Zustimmung stößt. Sollte dies trotz gegenteiliger Prognosen der Fall sein, dann könnte die Verfassung nach dem letzten Referendum in Tschechien (geplant für Juni 2006) in Kraft treten.

Was passiert, wenn die Verfassung nicht in Kraft tritt?

Für den Fall, dass die EU-Verfassung nicht ratifiziert wird, müssen die Staats- und Regierungschefs der EU eine neue Lösung finden. Zunächst würde der geltende Vertrag von Nizza erst einmal weiter gelten. Der Imageverlust wäre indes gewaltig und könnte die EU in eine Existenzkrise stürzen.