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Anti-japanischer Volkszorn entlädt sich in China

Matthias von Hein11. April 2005

Es sind die größten Proteste in China seit Jahren: Sie richten sich nicht gegen die Regierung, sondern gegen Japan. Was steckt hinter den anti-japanischen Gefühlen der chinesischen Bevölkerung?

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Keine zentrale Steuerung der ProtesteBild: AP

Wenn in China demonstriert wird, lohnt es sich immer, genau hinzusehen. Schließlich haben Demonstrationen in China Seltenheitswert - zumal in der Hauptstadt Peking. Nicht, dass es an Gründen für Proteste mangelte - da gibt es beispielsweise die grassierende Korruption, die Enteignungen von Land oder die Zurückhaltung von Lohnzahlungen. Aber gewöhnlich lösen die chinesischen Sicherheitsbehörden solche Demonstrationen schnell auf, die Organisatoren landen im Gefängnis.

Japanische Regierung trägt Mitschuld

Jetzt wurde schon das zweite Wochenende (9./10.4.2005) in Folge gleich in mehreren Städten gegen Japan demonstriert, ohne dass die chinesische Polizei wirksam eingegriffen hätte. Es handelte sich um die größten Demonstrationen, seit die Chinesen 1999 ihrem Ärger über die Bombardierung von Chinas Botschaft in Belgrad durch die Amerikaner Luft machen durften.

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China erlebte die größten Demonstrationen seit 1999Bild: AP


Dennoch irrt, wer meint, die Proteste gegen Japan seien zentral gesteuert gewesen. Die Regierung musste die Studenten nicht in Bussen zu den Demonstrationen fahren. Es genügte bereits die Bekundung ihrer Sympathie, um die latenten anti-japanischen Gefühle in der Bevölkerung zu massenhaftem und teilweise gewalttätigem Protest zu mobilisieren. Daran hat die japanische Regierung ein gerüttelt Maß an Mitschuld.

Junichiro Koizumi
Der japanische Premier Junichiro KoizumiBild: AP

Denn eine grundsätzliche und systematische Auseinandersetzung mit der eigenen Kriegsvergangenheit hat bis heute nicht stattgefunden. Halbherzige Entschuldigungen für die japanischen Kriegsverbrechen haben weder die Chinesen noch die Koreaner befriedigen können. Regelmäßig besucht Japans Premier Junichiro Koizumi den Yasukuni-Schrein, in dem auch Kriegsverbrecher verehrt werden - weswegen es seit 2001 auch kein Gipfeltreffen zwischen Japans und Chinas Führung mehr gegeben hat.

Geschichte schön geschrieben

Und nun war das japanische Erziehungsministerium unsensibel genug, ausgerechnet am chinesischen Totengedenktag ein Geschichtsbuch zu genehmigen, in dem das von japanischen Truppen 1937 begangene Massaker von Nanjing mit 300.000 Toten als "Zwischenfall" beschönigt wird.

Ohnehin hatte sich die Stimmung zwischen beiden Ländern in den vergangenen Monaten rapide verschlechtert. So hat Tokio in seinen neuen Verteidigungsrichtlinien China ausdrücklich als Bedrohung genannt. Und zähneknirschend musste Peking im Februar zur Kenntnis nehmen, dass Tokio sich gemeinsam mit Washington für die Sicherheit der Straße von Taiwan verantwortlich erklärt hat. Dazu kommen territoriale Streitereien um potentiell ergiebige Gasfelder im ostchinesischen Meer.

Demonstration in Peking gegen Japan
Proteste in der südchinesischen Stadt ShenzhenBild: AP

Bei all diesen Streitpunkten hat die chinesische Regierung an die nationalistischen Gefühle der Bevölkerung appelliert. Diese durfte jetzt gewissermaßen mit amtlichem Segen ein wenig Dampf ablassen - und hat die Gelegenheit ausgiebig genutzt. Was zentral gesteuert wird, ist die Berichterstattung über die Proteste: Die chinesischen Medien schweigen sich zu den Demonstrationen aus. Ein sicheres Zeichen, dass die Führung die Stimmung abkühlen will. Zu viel Porzellan soll eben doch nicht zerschlagen werden. Immerhin waren China und Japan noch 2003 füreinander die jeweils wichtigsten Handelspartner. Man liebt sich, auf eine Art - und man hasst sich.