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Zwischen Kim Wilde und Kopftuch

Oliver Samson11. März 2005

Comics finden nur selten den Weg ins klassische Feuilleton. Das preisgekrönte "Persepolis" von Marjane Satrapis wird auch von der Hochkultur gefeiert. Warum? Vielleicht wegen ihrer Art, Geschichten zu erzählen.

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Zwei Welten, ein Mädchen: Marjane

Es ist schon ein paar Jahre her, dass Art Spiegelman für seine Holocaust-Comics "Maus" den Pulitzer-Preis erhielt. Ansonsten fristen anspruchsvolle Comics ein Nischendasein. Erst in letzter Zeit findet eine neue Generation von Comic-Zeichnern um den US-Amerikaner Daniel Clowes, den Malteser Joe Sacco und die Iranerin Marjane Satrapi unter dem Genrebegriff "Graphic Novel" auch in Literaturkreisen starke Beachtung. Sie alle reflektieren in spartanischem Stil ihrer eigene Biographie.

Satrapi wird immer wieder wohlwollend mit ihrem erklärten Vorbild Spiegelman verglichen - ein größeres Kompliment kann es für eine Comiczeichnerin kaum geben. Für ihr "Persepolis" regnete es Kritikerlob, Literatur- und Comicpreise und selbst Hollywood klopfte schon wegen der Filmrechte an. 300.000 mal wurde die "Comic-Autobiographie" allein in Frankreich verkauft. Selbst die in Deutschland bisher verkauften 10.000 Exemplare gelten als großer Erfolg.

Das Mädchen und die Geschichte

Scan aus Persepolis, Comic von Marjane Satrapi
Selbstbildnis der Autorin

Die Heldin in Marjane Satrapis "Persepolis" ist Marjane Satrapi selbst. In Anlehnung an ihre Kindheitserlebnisse schildert sie im ersten Band den Übergang vom Regime des Schah zur Regentschaft der Ayatollahs aus der Perspektive eines Mädchens. In lakonischen Schwarz-Weiß-Bildern erlebt der Leser den Jubel über den Sturz des Schah im Jahr 1979, die zunehmende Unterdrückung durch religiöse Eiferer, die Hinrichtung des geliebten Onkels, die widerwillige Anpassung und den kleinen Widerstand der liebenswerten Heldin. Zum Beispiel, wenn sie zuhause zu der Musik ihres Idols Kim Wilde abrockt, während draußen Revolutionswächter gegen alles "Westlich-Dekadente" vorgehen.

Um dem iranisch-irakischen Krieg zu entgehen, wird die inzwischen 14-jährige Marjane von ihren linksliberalen Eltern nach Österreich geschickt - alleine. Der Band endet mit einem Blick zurück durch die geschlossene Flughafentür.

Gegen Dummheit und Ignoranz

Marjane Satrapi Comicautorin Iranerin Porträtfoto Persepolis
Marjane SatrapiBild: AP

Die 35-jährige Iranerin Satrapi lebt heute in Paris, wo sie unter anderem für "La Liberation" und die "New York Times" zeichnet. Wie ihre Heldin kämpft Satrapi leidenschaftlich gegen Dummheit und Ignoranz. Sie ist eine eloquente und widerborstige Streiterin für Freiheit, Menschenrechte, ihren Iran und seine Menschen. Satrapi ist stolz auf die persische Kultur und kann vor Wut schäumen, wenn der Westen den Iran mit dem Tschador gleichsetzt. "Ich würde auch die spanische Inquisition nicht für den einzigen Ausdruck der europäische Kultur halten", sagte die Autorin unlängst in einem Interview. Sie zeichnet, sagt sie, nicht für ihre Landsleute, sondern für jene westliche Welt, "die vor lauter Kopftüchern die Vielfalt der realen Gesichter des Iran nicht sieht".

Auf der Suche nach Identität

Satrapi ist glühende Patriotin - obwohl, oder vielleicht weil sie ihre Heimat verlassen musste. Ihre Jugend in der Fremde, die Suche nach einer Identität, die zwischenzeitige Heimkehr und der endgültige Abschied sind die Themen des zweiten Bandes "Persepolis 2 - Jugendjahre": Marjane landet in Österreich an einem Ort, den sie als fast so repressiv wie den Iran erlebt: in einer von Nonnen betriebenen Pension. Nach vier Jahren zwischen Heimweh und westlicher Jugendkultur, Drogenproblemen, gescheiterten Beziehungen und Obdachlosigkeit kehrt sie mit 18 schließlich zurück in den Iran. Noch immer gilt ihr Lebensstil dort als dekadent, doch Marjane versucht sich anzupassen. Sie studiert Kunst und heiratet sogar. Doch ihr Durst nach Freiheit ist größer. 1994 entschließt sich Marjane, Mann und Heimat zu verlassen - endgültig. Wie der erste Teil endet auch der zweite - mit einem Blick zurück am Flughafen. Einen Weg zurück wird es diesmal aber nicht mehr geben.

Band 1: "Eine Kindheit im Iran", 164 Seiten
Band 2: "Jugendjahre", 192 Seiten. beide bei Edition Moderne