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Schlecht Ding will Weile haben

Juliane Sucker18. August 2005

Washington im August: feucht-warmes Klima, Temperaturen über 30 Grad und Parasiten im Bett. Eine Kombination, die den Besuch im amerikanischen Emergency Room nötig macht.

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Ratlos stand ich seit einer Woche vor der Frage, woher die über 40 blutunterlaufenen Flecken an Armen, Beinen und im Gesicht rührten, die mir von Tag zu Tag röter und größer im Spiegel entgegen leuchteten. Im Büro stand die Diagnose schnell fest: bed bugs. Zu deutsch: Bettwanzen. Ab zum american doctor, wurde einhellig entschieden.

Wie gesagt, so getan. Den unerträglichen Juckreiz, die schlaflosen Nächte unter der kühlenden Dusche und die ergebnislose - durch eine Pantoffel bewaffnete - Jagd nach einer Mücke war ich leid.

Wie zu erwarten, war ich an diesem Dienstag Morgen nicht die einzige, die ein akutes Leiden hatte. Fünf weitere Personen quälten sich über den Gang oder hingen in den übergroßen Wartestühlen. Und dabei bot die nur spärlich eingerichtete Wartehalle mindestens 200 Notleidenden Platz. Umso besser, dann würde es wenigstens schnell gehen.

10:05

Nach sechsseitigem Papierkrieg für die Krankenhaus-Akte durfte ich es mir in einem der Supersize-Stühle bequem machen. Von hier aus ließ sich das Geschehen gut beobachten: Nach mir kamen eine Mutter mit vier schreienden Kindern, eine humpelnde Mitvierzigerin, die über Hüftschmerzen jammerte und eine stark Übergewichtige. Wehklagend schleppte sie sich an den "Sign-in“-Schalter und heulte im Minutentakt auf, sie könne nicht mehr gehen. Prompt wurde sie aufgerufen, sprang auf und eilte mit wiedergewonnener Laufkraft zur Krankenschwester. Nicht nur in der US-Fernsehserie "Emergency Room“ wird Schauspielkunst groß geschrieben.

Nach diesem filmreifen Auftritt und dem Vorbeiziehen weiterer vier Personen, die alle nach mir gekommen waren, war eines gewiss: der Besuch einer amerikanischen Notfallaufnahme und die schnelle Abfertigung hängen möglicherweise entscheidend vom schauspielerischen Talent des Patienten ab.

11:15

Nach gut einer Stunde Wartezeit war schließlich auch ich an der Reihe - zur Voruntersuchung. Fieber- und Pulsmessen, die Krankenschwester tippte sämtliche Daten in den Computer: Name, Alter, Geschlecht, weshalb sind Sie hier? Allesamt Fragen, die ich zuvor auf sechs Seiten Papier beantwortet hatte.
- Hatten Sie als Kind schon Masern?
- Ja, hatte ich.
- Danke, Sie können wieder Platz nehmen.

12:15

"Miss Sucker“ schallt mein Name durch den Wartesaal. Alles drehte sich um; der Krankenpfleger sichtlich bemüht, sein Grinsen zu verbergen. Die Schmach war ob des englisch ausgesprochenen Nachnamens komplett. (Sucker = amerikanischer Ausdruck für Trottel und Derberes). Doch mit der sehnsüchtig erwarteten Arzt-Visite sollte ich dennoch nicht entschädigt werden. Zunächst stand noch der Finanzschalter auf dem Plan. Wie es denn mit der Krankenversicherung stehe. Bevor ich den Mediziner überhaupt zu Gesicht bekommen sollte, musste ich also erst noch meine Kreditkarte zücken.

12:30

Den Gang zur Notaufnahme begann ich langsam zu bereuen. Er hatte nichts von der Dramatik und dem Tempo, wie man es aus dem Fernsehen her kannte. Im Gegenteil: hier handelte es sich um eine einzige Geduldsprobe.

Dann wurde ich doch noch von einem Pfleger zur eigentlichen Untersuchung aufgerufen und hinter die geheimnisvolle Tür geführt, auf die ich seit 2 Stunden, 25 Minuten gebannt gestarrt hatte. Dahinter eine Kabine neben der anderen, alle durch seitliche Vorhänge voneinander abgegrenzt. Das war alles. In eine dieser Kabinen führte mich der Krankenpfleger und reichte mir einen blau-weiß gestreiften Umhang: "Ziehen Sie sich aus und den Kittel an, die Öffnung ist hinten“ - sagt’s und war wieder verschwunden. Warten.

12:55

Als der Vorhang wieder einen Spalt weit aufgeht, schaut eine junge Medizinstudentin hinein:
- Hatten Sie als Kind schon Masern?
- Ja, hatte ich.
- Danke, warten Sie hier.

Gemeinsam überlegten wir fieberhaft, ob es sich nicht um Bisse von bed bugs handeln könne. Ja, das sei eine gute Idee, befand Frau Doktor in spe. Wanzenbisse, ganz Recht, so sähe es aus: der Biss als kleiner roter Punkt in der Mitte, drum herum eine Entzündung der Haut. Die Studentin lächelte erleichtert, dass sie der Ursache nun doch noch auf die Spur gekommen war. Sie drückte ein paar Mal auf den Stellen an Armen und Beinen herum und entschwand zufrieden mit der ersten Diagnose wieder aus der Kabine.

In regelmäßigem Fünf-Minuten-Takt schaute sie durch den Vorhang, grinste etwas verlegen: "Noch eine letzte Frage: irgendwelche Operationen oder Allergien?“ Dann noch eine letzte Frage: "Welche Medikamente nehmen Sie?“ Und noch eine: "Seit wann haben Sie die Bisse?“ Auf der Pritsche kauernd war ich im dünnen Kittelchen mittlerweile halb erfroren. Immerhin war der Juckreiz beinahe gänzlich verschwunden, und durch Gänsehaut am ganzen Körper ersetzt worden.

13:30

Schließlich wurde mir das Dasein als Versuchskaninchen zu bunt und ich verlangte nach dem Arzt, den ich durch den Spalt sehen konnte. Er saß am Computer und haute eifrig in die Tasten, um so der Bürokratie Herr zu werden. Die Diagnose "Wanzenbiss“ stand und musste nur noch von ihm abgesegnet werden.

13:40

Zehn Minuten später, nach dreieinhalb Stunden des Wartens erschien er: der amerikanische Halbgott in Weiß. Nun endlich sollte sich der lang ersehnte Auftritt des Notarztes doch noch verwirklichen; der Gemaechlichkeit des Krankenhaus-Personals damit ein Ende gesetzt werden. Er steckte seinen Kopf durch den Schlitz im Vorhang: - Hatten Sie als Kind schon Masern?