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Das Daumenkino und die Kunst

Ute May (pf)18. Mai 2005

Die Kunsthalle Düsseldorf widmet sich einem lange vergessenen künstlerischen Genre: dem Daumenkino. Ein nicht nur nostalgischer Ausflug.

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Tim Ulrich "Kanzumichhörn", 1995Bild: Alistair Overbruck

Daumenkinos gab es lange bevor in jedem Haushalt ein Fernseher stand. Und diejenigen, denen die späten 1960er-Jahren noch gut in Erinnerung sind, sehen Werner Enke und Uschi Glas im Kino auf einer Bettkante sitzen. Aber es ging eben nicht zur Sache mit den Schätzchen: Was Enke da auspackte, war nichts Anzügliches, erklärt Christoph Schulz, Kurator dieser bis heute einmaligen Ausstellung: "Das waren die Daumenkinos. Der Spaß in der Szene war der, dass alle dachten, da würde jetzt eine wundersame erotische Begegnung der dritten Art stattfinden. Tatsächlich aber holt Werner Enke seine Zigarrenschachtel heraus und zeigt Uschi Glas die Daumenkinos."

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Stephanie Ognar Flip Book “Bath”, 1998

Mit den Lücken spielen

Das Daumenkino, im englischen Sprachraum als "Flip Book" bekannt, ist ein meist kleinformatiges Buch, das für kurze Zeit zum Film wird. Es erzählt dann auf etwa 40 Seiten eine Bildergeschichte, die beim schnellen Blättern mit dem Daumen lebendig wird. Das Schöne am Daumenkino sei, sagt Christoph Schulz, dass man die Geschwindigkeit und den Rhythmus der einzelnen Sequenzen selbst bestimmen könne. Und - wie von Zauberhand - sieht man dann nicht nur die eigentlichen Bilder, sondern auch das zwischen den Bildern.

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Stephanie Ognar Flip Book “Bath”, 1998

Das ist auch das Interessante an den künstlerischen Daumenkinos: Das Spiel mit den Lücken. Gleichzeitig Buch und Mini-Kino im Taschenformat, Bilderserie und Erzählung, ist das Daumenkino ein auch sinnliches Vergnügen für Leute, die gern gucken und dabei etwas anfassen möchten.

Und manchmal etwas für Freizeitkünstler, weiß Christoph Schulz. Denn es lässt sich sehr leicht auch von Hobbykünstlern herstellen. Und zwar, indem man bei einer Fotokamera den Auslöser gedrückt hält, bis der Film voll ist. Hält man dann die fotografischen Abzüge in der Hand und lässt sie schnell hintereinander laufen, entstehen die für das Daumenkino so charakteristischen Sequenzen. Entstanden sind auf diese Weise nicht nur Erotikfilme für die Westentasche, sondern auch "living portaits" - lebende Porträts als Andenken für und von der ganzen Familie.

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Stephanie Ognar Flip Book “Bath”, 1998

Gezeichnete Daumenkinos

Nicht weniger perfekt und anspruchsvoll sind die gemalten und gezeichneten Daumenkinos, die manchmal witzige und überraschende Geschichten erzählen und manchmal nur wunderbare grafische Bilder entwickeln. Über 400 dieser klitzekleinen Kunstwerke sind in Düsseldorf anzusehen und anzufassen. Man muss sie einfach nur in die Hand nehmen und mit dem rechten Daumen die Seiten zum Durchsausen bringen. Schon entsteht der kleine Minifilm. An den frei zugänglichen dieser Winzlinge sind digitale Sicherungssysteme angebracht, damit die wertvollen Objekte nicht abhanden kommen. Andere "flip books" sind mit Plexiglashauben geschützt. Aber im Hightech-Zeitalter gibt es auch noch weitere Möglichkeiten. Kurator Schulz erklärt, dass einige Daumenkinos zunächst abgefilmt wurden. Diese Filme werden dann auf Mini-DVD-Playern präsentiert. Einige werden auch "projiziert, um über die Vergrößerung zu zeigen, wie sehr sich das verändert, wenn man es klein sieht oder wenn man es groß sieht."

Berühmte Daumenkino-Künstler

Im historischen Teil der Ausstellung, deren ältestes Stück aus dem Jahr 1868 stammt, sind mechanische Geräte zu sehen, in die man die kleinen Bücher einspannen und mit einer Kurbeln zum Laufen bringen konnte.

Guillaume Apollinaire
Guillaume Apollinaire im Gespräch mit André Rouveyre, 1914

Den Schwerpunkt der Ausstellung aber bilden neben den historischen Arbeiten die Daumenkinos zeitgenössischer Künstler und Filmemacher wie Pedro Almodóvar, Angela Bulloch, Tacita Dean, Gilbert & George, Jean Luc Godard, Douglas Gordon, Keith Hearing, William Kentridge oder Bruce Naumann. "Die haben", erzählt Christoph Schulz, "eine ganze Menge mit dem Objekt gemacht. Die Einfachheit des Objekts ist aufgegriffen und als Herausforderung begriffen worden, um eben mit diesen sehr einfachen Möglichkeiten zu spielen und den Effekt zu verändern."

Die Ausstellung ist vom 7. Mai bis zum 17. Juli 2005 in der Kunsthalle in Düsseldorf zu sehen