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Medienreform in Bosnien-Herzegowina gescheitert

12. Mai 2005

Bosnien-Herzegowina hat noch immer kein Gesetz über die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten erhalten. Ein Gesetzentwurf ist am 11. Mai in Sarajewo gescheitert, weil Kroaten ein eigenes Programm fordern.

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Bosnische Abgeordnete fordern auch ein kroatisches RadioprogrammBild: AP

Das Parlament der Föderation und auch das auf gesamtstaatlicher Ebene haben den von einer Sonderkommission ausgearbeiteten Gesetzentwurf über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gebilligt. Gescheitert ist der Gesetzentwurf, weil Abgeordnete der Parteien mit dem so genannten kroatischen Vorzeichen gefordert haben, dass bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein gesondertes kroatisches Programm eingeführt wird. Die Reform der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist eine der Voraussetzungen der EU, damit Bosnien-Herzegowina das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU abschießen kann.

Kanäle für alle drei Ethnien gefordert

Ein Fernseh- und Radiokanal in Kroatisch sei die Voraussetzung für den Erhalt der kulturellen und nationalen Identität der Kroaten in Bosnien-Herzegowina. So lautet der Standpunkt von Mate Franjicevic, Fraktionsvorsitzender der kroatischen Abgeordneten in der Volkskammer des föderalen Parlaments. "Wir möchten eine Rundfunk- und Fernsehanstalt mit drei Kanälen in den drei Sprachen der konstitutiven Völker von Bosnien und Herzegowina. Unser Vorhaben grenzt niemanden aus. Im Gegenteil – die Umsetzung dieser Idee würde die Voraussetzungen für alle drei Völker schaffen, damit sie die Möglichkeit und Freiheit erhalten, ihrer nationalen Zugehörigkeit Ausdruck zu verleihen und diesen Staat als wirklich eigenen zu erleben."

Sprachkanäle purer Luxus?

Bosnien-Herzegowina könne sich eine Rundfunk- und Fernsehanstalt mit drei Kanälen in drei Sprachen nicht leisten, meint dagegen Zoran Udovicic, Direktor des früheren Fernsehens Sarajewo und heute Direktor des Instituts Media Plan in Sarajewo. Einer der Gründe sei finanzieller Natur. Vor dem Krieg habe TV Sarajewo im ersten Kanal ein Drittel des Programms selbst produziert und im zweiten ein Fünftel. Der Rest des Programms sei von den übrigen Sendern im ehemaligen Jugoslawien oder vom Ausland übernommen worden.

Udovicic zufolge war die damalige Finanzlage bedeutend besser als heute, zumal gesetzlich festgelegt ist, dass das Programm aus 40 Prozent Eigenproduktion bestehen muss. Udovicic vermutet politische Gründe hinter der Forderung, exklusive nationale Kanäle zu schaffen, ohne näher darauf eingehen zu wollen. Er betrachtet es als Luxus, drei Kanäle in drei Sprachen einrichten zu wollen. "Wir können hier nicht das belgische System anwenden, das heißt, drei verschiedene Sprachkanäle, die im ganzen Land senden. Denn wir verstehen alle unsere Sprachen und es ist absolut irrational wegen eines Unterschieds von fünf oder zwei Prozent das gleiche Programm in drei Sprachen zu senden."

Medien als Brückenbauer

Die EU hat bisher – wie die Deutsche Welle inoffiziell erfahren hat – acht Millionen Euro in die Medien-Reform in Bosnien-Herzegowina investiert. Thomas Kirschning, Projekt-Manager der DW-Akademie, einer Abteilung, die sich mit der Aus- und Fortbildung von Journalisten befasst, sagt, die Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien müsse in jedem Land einen eindeutig integrativen Charakter haben: "Ihre Verantwortung liegt insbesondere darin, dass nicht weiter Trennendes betont wird. Also, was die Grenzen in den Köpfen, die Mauern in den Köpfen weiter zementiert und hochzieht, sondern dass sie dahin wirken, dass sie Verständnis und Transparenz, zum Beispiel unterschiedlicher Sichtweisen, unterschiedlicher Ethnien darstellen und jeweils auch wechselseitig Verständnis erzeugen. Da haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten die Aufgabe, Brücken zu bauen."

Weg in die EU über Medienreform

Die Schaffung eines Kanals, der ausschließlich für die Kroaten in Bosnien-Herzegowina wäre, führt Kirschning zufolge dazu, dass sie keine oder unvollständige Informationen über die Standpunkte, Meinungen und Sichtweisen ihrer Nachbarn erhalten. Dies würde die Gräben zwischen den Menschen nur vertiefen und nicht zum Zusammenleben beitragen. Er fügte noch hinzu, "wenn Bosnien-Herzegowina als Ziel für sich formuliert, zur EU gehören zu wollen, ist es von Seiten der EU eine unabdingbare Voraussetzung, dass das öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehsystem ein Programmangebot bietet, dass die unterschiedlichen Ethnien zusammenführt. Dies ist so formuliert. Die Aufnahme von Gesprächen über das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina hängt davon ab, in wie weit sich das öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehsystem sich in dieser Richtung reformiert."

Ein Land in der Warteschleife

So wie es aussieht, wird Bosnien-Herzegowina wohl noch eine geraume Zeit seinen Weg in die EU suchen. Ende kommender Woche steht das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina erneut auf der Tagesordnung der EU-Kommission. Dem Scheitern der Reform beim föderalen und gesamtstaatlichen Parlament nach zu schließen, wird das Gesetz über den Rundfunk- und Fernsehservice bis dahin sicherlich nicht verabschiedet sein. Das bedeutet, dass auch alle Bürger von Bosnien-Herzegowina auf die EU-Annäherung warten müssen – unabhängig davon, in welchem Kanal und in welcher Sprache sie diese Nachricht erreicht.

Azer Slanjankic
DW-RADIO/Bosnisch, 11.5.2005, Fokus Ost-Südost