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Beitritt mit Bedingungen

28. April 2005

Die EU hat die Beitrittsverträge mit Rumänien und Bulgarien unterzeichnet und dabei zum ersten Mal in die Verträge eine Notbremse eingebaut. Eine richtige Entscheidung, meint Bernd Riegert in seinem Kommentar.

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Für Bulgarien und Rumänien geht mit der Unterzeichnung der bis zuletzt umstrittenen Beitrittsverträge ein Traum in Erfüllung. Nach Jahrzehnten kommunistischer Diktatur und 15 Jahren schwieriger und keineswegs reibungsloser Demokratisierung sind sie nun endlich in Europa angekommen.

Für die Europäische Union gab es zur Aufnahme der beiden Staaten keine Alternative, auch wenn die Integration der beiden relativ armen Völker eine große Herausforderung bedeuten wird. Wäre es nur nach streng wirtschaftlichen oder technischen Gesichtspunkten gegangen, hätte man die Betrittsreife verwehren müssen. Doch es geht vor allem um das politische Signal an Bulgarien und Rumänien, dass sich ihr Weg, trotz mancher Rückschläge, gelohnt hat, dass sie in der EU willkommen sind.

Anreiz zu Reformen

Die Vertragsunterzeichnung soll für die Regierungen in Sofia und Bukarest ein Anreiz sein, Reformen konsequent umzusetzen und gegen die 'Kultur der Korruption' scharf vorzugehen. Hätte man den ohnehin schon um drei Jahre verschobenen Betritt noch weiter hinaus gezögert, wären die 30 Millionen Menschen in Rumänien und Bulgarien wohl zurecht maßlos enttäuscht gewesen, die Regierungen in arge Bedrängnis geraten.

Ursprünglich sollten die beiden Balkan-Staaten zusammen mit den anderen ehemaligen Ostblock-Staaten im vergangenen Jahr beitreten. Doch bei der jahrelangen Vorbereitung der Erweiterung wurde klar, dass vor allem Rumänien mehr Zeit brauchen würde. Bulgarien hat seine Beitrittsverhandlungen überpünktlich abschließen können. Doch beide Länder wurden von der EU immer zum Nachteil Bulgariens als "Block" behandelt, wenn es um das Beitrittsdatum ging.

Probleme bleiben

Die Probleme sind heute keineswegs beseitigt. Sowohl der zuständige EU-Kommissar als auch das Europa-Parlament haben Bulgarien und vor allem Rumänien nur mit großen Bedenken ein Zeugnis ausgestellt, dass einen Beitritt zum 1. Januar 2007 rechtfertigt. Justiz-Reformen müssen in beiden Beitrittsländern erst noch greifen. Korruption ist ein massives Problem. Deshalb ist es richtig, dass die EU zum ersten Mal in die Erweiterungsverträge eine Notbremse eingebaut hat, die besagt, dass die Aufnahme um ein Jahr verschoben werden kann, sollte die EU-Kommission keine Fortschritte erkennen.

Bulgarien und Rumänien erhalten einen gewaltigen Vertrauensvorschuss, dem sie hoffentlich im Interesse Europas gerecht werden. Auf die Gemeinschaft kommen große finanzielle Herausforderungen zu. Über 40 Milliarden Euro soll die Integration der Bulgaren und Rumänen im kommenden Jahrzehnt kosten. Durch Mitglied 26 und 27 wird die tägliche Entscheidungsfindung und Arbeit sicher nicht einfacher.

Zeichen für andere Beitrittskandidaten

Mit dem an Bedingungen geknüpften Beitrittsmechanismus setzt die EU gleichzeitig ein Beispiel für die nächsten Kandidaten auf dem westlichen Balkan und auch für die Türkei. Die Botschaft lautet, dass in Zukunft die Versprechen aus Brüssel und den Hauptstädten der Altmitglieder künftig weniger großzügig ausfallen und die Beitrittsreife kritischer beurteilt werden wird. Das könnte für ehemalige Bürgerkriegs-Länder wie Kroatien, Serbien-Montenegro und Bosnien-Herzegowina bedeuten, dass die Aufnahme in den europäischen Klub noch weit entfernt ist, zumal für diese Staaten noch die spezielle Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal als Bedingung hinzu kommt. Die Hürden werden in Zukunft dichter gestaffelt und höher ausfallen. Die EU insgesamt ist beitrittsmüde.

Die Forderung der konservativen Opposition in Deutschland, die Beitrittsverträge mit Rumänien und Bulgarien aus Angst vor Billig-Löhnen nachzuverhandeln, ist seltsam blauäugig. In den Verträgen sind Übergangsfristen, die die Freizügigkeit rumänischer und bulgarischer Billig-Arbeiter einschränken, bereits vorgesehen. Das Paket wieder aufzuschnüren, würde bedeuten, alle 25 EU-Regierungen wieder zu Verhandlungen in einer Regierungskonferenz versammeln zu müssen. Beim Beitrittsvertrag gilt: Ganz oder gar nicht. Dem Vertragswerk hat die deutsche Bundesregierung vor Monaten zugestimmt, da war von der Opposition nichts zu hören. Aber da war ja auch kein Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen.

Bernd Riegert
DW-RADIO, 26.4.2005, Fokus Ost-Südost