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Noch immer keine Lustration in Serbien

7. April 2005

Auch wenn in Serbien ein Lustrationsgesetz existiert, wird es nicht umgesetzt. Gründe dafür sind Menschenrechtlern zufolge mangelnde strafrechtliche Konsequenzen und die fehlende Öffnung der Geheimakten.

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Erblasten des Milosevic-RegimesBild: AP

Trotz mancher politischer Reform hat in Serbien noch keine Transformation des Staatsapparats und vor allem jener öffentlichen Einrichtungen stattgefunden, auf denen einst das Milosevic-Regime ruhte. Das gilt vor allem für die Sicherheitsdienste, Armee und Polizei. Forderungen nach einer Lustration, also einer Durchleuchtung dieser Staatsapparate, sind stetig an den Rand gedrängt worden. Danach sollen sich vor allem jene Personen einer Lustration unterziehen, die sich an der institutionalisierten massenhaften Verletzung der Menschenrechte beteiligten. Sie hätten ihre Schlüsselrolle im öffentlichen Leben zwar aufgegeben, aber nähmen weiter Einfluss auf die Sicherheitsdienste der Streitkräfte und der Polizei, kritisieren Menschenrechtler.

Grundvoraussetzungen fehlen

Auch wenn das Gesetz über Lustration bereits vor langer Zeit verabschiedet wurde, wird es immer noch nicht angewendet. "Das größte Hindernis für die Anwendung dieses Gesetzes stellt das serbische Parlament dar, das es selbst gebilligt hat", sagte Vladimir Vodinelic, Mitarbeiter des Zentrums für die Förderung von Rechtsstudien. "Damit dieses Gesetz aktiviert werden, muss es in einem Klima der Menschenrechtskultur verabschiedet und angewendet werden. Zudem muss das Verhältnis der gesellschaftlichen und insbesondere der politischen Kräfte diejenigen begünstigen, die sich die Menschenrechtskultur angeeignet haben. Diese Grundvoraussetzungen sind in Serbien nicht gegeben", so Vodinelic.

Keine Sanktionen bei Verstößen

Biljana Kovacevic-Vuco, Vorsitzende des Komitees Juristen für Menschenrechte, sagte, das Lustrationsgesetz sei nicht zuletzt deswegen nicht anwendbar, weil keine strafrechtlichen Sanktionen für diejenigen vorgesehen seien, die gegen das Lustrationsgesetz verstießen. "Die Lustration ist zwar eine repressive Maßnahme, sie ist allerdings nicht so revanchistisch, wie sie die Lustrationsgegner gerne darstellen. Die Lustration ist – neben anderen Instrumenten des Transitionsrechts - eine Hilfsmaßnahme, um eine Gesellschaft in ein neues System zu führen und den Rechtsstaat einzuführen", so Kovacevic-Vuco.

Bogoljub Milosavljevic, Mitarbeiter des Zentrums für Anti-Kriegsaktion, meint: "Die Lustration ist ein Mittel der gesellschaftlichen Hygiene, die nur zeitweise Personen von Positionen entfernt, die sich als unwürdig für öffentliche Ämter erwiesen haben, weil sie gegen die Menschenrechte ihrer Mitmenschen verstoßen haben."

Geheimakten müssen geöffnet werden

Milosavljevic betrachtet es als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des Lustrationsgesetzes, dass die Geheimakten der Polizei geöffnet werden. "In dem Lustrationsgesetz ist keine Verbindung hergestellt worden zwischen diesem Gesetz und dem über die Öffnung der Geheimakten. Auch wenn jemand das Lustrationsgesetz anwenden wollte, könnte er es wirklich nicht, weil diese Person von den Angaben abhängen würde, die ihr die Sicherheitsdienste zur Verfügung stellen. Es besteht nicht die Möglichkeit, Geheimakten zu erhalten, die als Beweis für Verstöße gegen die Menschenrechte und für den Missbrauch von persönlichen Daten dienen würden."

Die Diskussion über die Lustration und den Umgang mit den Geheimakten zeigt, dass auch fast fünf Jahre nach dem Ende des Milosevic-Regimes die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht in Gang kommt. Die Mehrheit der politischen Elite in Serbien ist derzeit offenbar nicht dazu bereit, Akten der Geheimpolizei zu entsiegeln und die Namen verantwortlicher Mitarbeiter preiszugeben.

Zelimir Bojovic, Belgrad
DW-RADIO/Serbisch, 1.4.2005, Fokus Ost-Südost