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Was die EU nicht kennt, das isst sie nicht

Ingun Arnold 5. April 2005

Hafer kommt ursprünglich aus dem Nahen Osten, Kaffee aus Äthiopien, Bohnen aus Mexiko: Etwas Neues zu kosten, gehört von jeher zum guten Ton. Doch was selbstverständlich ist, könnte bald zur Ausnahme werden.

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Kiwi: exotisch, aber erhältlichBild: dpa
Proben angelieferten Getreides, Nitrofenskandal
Getreide - das essen wir seit JahrtausendenBild: AP

"Rein theoretisch muss man heutzutage für alles, was nicht über den Großmarkt verkauft wird, nachweisen, dass es essbar ist", sagt Maximilian Weigend vom Institut für Systematische Botanik und Pflanzengeographie der Freien Universität Berlin. Grundlage ist die "Novel Food Verordnung" (EG 259/1997) der EU: Die Verordnung legt fest, dass nur das, was vor dem 15. Mai 1997 "in nennenswertem Umfang" in der EU verzehrt wurde, vermarktet werden darf. Weigend hat mit einem Team von Wissenschaftlern den Gesetzestext analysiert und gravierende Mängel und Unstimmigkeiten offengelegt.

Unklare Formulierungen

Innenhof des Archäologischen Museums in Athen
Wann beginnt "Vertrautheit": in der Antike?!Bild: Hellenic Ministry of Culture

"Es fehlt zum Beispiel jegliche zeitliche Eingrenzung: Genügt es, den 'nennenswerten Verzehr' im antiken Griechenland nachzuweisen?", fragt Weigend provokativ. "Außerdem ist nicht klar, was 'nennenswerter Verzehr' sein soll." Beides hat erhebliche Rechtsunsicherheit für die Industrie zur Folge. Als stillschweigende Vereinbarung gilt: "Handelsvolumina im Tonnenmaßstab sind als hinreichende Nachweise akzeptiert." Für alle anderen außereuropäischen Lebensmittel und Lebensmittel-Zusatzstoffe gilt: Sie sind "neuartig" und müssen erst zugelassen werden. "Der Nachweis der Unbedenklichkeit ist allerdings nur auf gerichtlichem Weg zu erbringen, weil es seitens der EU keine Durchführungs-Bestimmungen für die Verordnung gibt", bemängelt Weigend.

Arzneimittelartige Prüfung

Reisfeld
Gut, dass in Europa REIS bereits bekannt ist

Zwischen Mai 1997 und März 2002 wurden insgesamt 37 Anträge auf Zulassung gestellt. Das Verfahren ist kompliziert: Grundsätzlich ist das Ansinnen als erstes der für Lebensmittel und Lebensmittelsicherheit zuständigen Behörde des eigenen Landes vorzutragen. Wird das Produkt zum ersten Mal in einem EU-Land geprüft, dann müssen alle anderen Mitgliedsstaaten davon informiert und um eine Stellungnahme gebeten werden. Sagt ein Land "Nein", kommt der Fall vor den Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss (Scientific Committee on Food) der EU. Das SCF ist das höchste Gremium der EU für Lebensmittelsicherheit. Die wissenschaftlichen Prüfberichte sollen ersetzen, was an Ess-Erfahrung fehlt. "Das ist wie eine pharmakologische Prüfung", sagt Weigend.

Vertrauen zählt nichts, Kontrolle alles

Papaya
Ziemlich exotisch: PapayaBild: dpa

Bei vertrauten Lebensmitteln lehrt die jahrzehnte-, wenn nicht jahrhunderte- oder jahrtausendelange Erfahrung, dass sie verträglich sind. Bei "neuartigen" Lebensmitteln interessiert es den Wissenschaftlichen Lebensmittelausschuss allerdings herzlich wenig, ob das fragliche Obst oder Gemüse im Herkunftsland ein Grundnahrungsmittel und damit als allgemein bekömmlich anerkannt ist. Das schränkt nach Ansicht der Berliner Wissenschaftler grundlos den freien Warenverkehr mit außereuropäischen Staaten ein.

Export-/Importhindernis

Peru - Machu Picchu
Inkastadt Machu Picchu (r) und Huayna Picchu in der peruanischen Provinz CuzcoBild: dpa

Einige Länder der Anden-Region haben sich bereits bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNCTAD beschwert: Die "Novel Food Verordnung" sei eine künstliche Barriere für den freien Handel. Traditionelle Lebensmittel aus der Anden-Region, für die grundsätzliches Interesse und durchaus Absatzchancen in Europa bestünden, dürften nicht angeboten werden. Dazu gehören die potenzsteigernde Maca-Knolle aus Peru (ein anerkanntes Hausmittel der Inka) ebenso wie die mehlige Frucht der kolumbianischen Chontaduro-Palme, von der sich vor allem die Amazonas-Bevölkerung ernährt. Auch die Borojo-Frucht darf in Deutschland, Dänemark, Portugal, Spanien und den Niederlanden nicht vertrieben werden.

Obst ist gesund!
Obst ist gesund!Bild: dpa


Bananen, Kiwi, Mango, Papaya oder Physalis hätten es heutzutage schwer, in die europäischen Fruchthallen zu kommen, wenn sie nicht schon längst da wären. Andere Exoten wie geröstete Heuschrecken, die süßen Blätter der Stevia-Pflanze oder die südpazifischen Ngali-Nüsse sind in Europa bislang unbekannt – und haben auch kaum Chancen, es jemals zu werden.