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Wenn Gewalt in der Ehe Tradition hat

Nadja Baeva29. März 2005

Gewalt gegen Frauen ist in Migrantenfamilien weit verbreitet. Damit Hilfsangebote greifen können, müssen für die Frauen kulturelle Brücken gebaut werden.

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Türkinnen sind häufiger Opfer von Gewalt als deutsche FrauenBild: AP

Derya Karaüzüms Tag ist wieder einmal voller Termine. Nachdem die Türkin am frühen Morgen ihren achtjährigen Sohn in die Schule geschickt hat, geht es los. Zuerst begleitet sie eine andere Türkin, die sich von ihrem Mann scheiden lassen will, zum Anwalt. Dann besucht sie ein paar türkische Geschäfte in Duisburg-Marxloh und verteilt Informationsbroschüren über den Weißen Ring.

Der Weiße Ring ist die einzige bundesweite Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Familien. Ein Großteil der Arbeit des Vereins besteht aus der Hilfe für die Opfer häuslicher Gewalt. Obwohl Gewalt in Migranten-Familien und besonders in türkischen Familien weit verbreitet ist, wenden sich die betroffenen Frauen fast nie an Hilfsorganisationen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Migrantinnen, die oft nicht genügend Deutsch sprechen, Angst haben, von den Mitarbeitern nicht verstanden zu werden. Derya Karaüzüm vom Weißen Ring Duisburg ist bis jetzt die einzige türkische Beraterin in ganz Nordrhein-Westfalen. Seitdem sie vor zwei Jahren ihre Arbeit aufgenommen hat, haben die türkischen Bürgerinnen endlich eine Anlaufstelle ohne Sprachbarrieren.

Probleme und Lösungen

Bei einem Spaziergang berät Derya Karaüzüm anschließend eine frisch verheiratete Türkin, die Eheprobleme hat. Die Mitarbeiterin des Weißen Rings Duisburg steht immer wieder vor neuen Fragen und Problemen ihrer Schützlinge: zum Beispiel finanzielle oder rechtliche Hilfe. "Wir geben dem Opfer beim ersten Mal Beratungsschecks, die man bei einem frei gewählten Anwalt einlösen kann. Dann versuchen wir noch bei der Straftat, die ja auch seelische Folgen hat, seelischen Beistand zu leisten."

Symbolbild Bier trinken
Bei Gewalt in der Ehe spielt Alkohol oft eine RolleBild: AP

Derya Karaüzüm ist eine der 2500 ehrenamtlichen Mitarbeiter beim Weißen Ring. Der Verein engagiert sich seit 1976 für die Opfer von Kriminalität und Gewalt. Neben Raub- und Sexualdelikten haben die Berater sehr oft mit häuslicher Gewalt zu tun. Meistens sei dann Alkohol im Spiel, sagt Marianne Weich vom Weißen Ring Köln.

Häufiger Gewalt in Migranten-Familien

Marianne Weich weiß, dass die häusliche Gewalt unter Migranten und insbesondere in türkischen Familien weiter verbreitet ist als unter Deutschen. Dennoch hat sie während ihrer langjährigen Arbeit im Verein noch keine einzige Türkin zu Gesicht bekommen. Anders in Duisburg: Seit Derya Karaüzüm 2003 ihre Arbeit aufgenommen hat, hat sich dort die Zahl der betreuten türkischen Verbrechensopfer vervielfacht. Die 29-jährige Türkin ist bis jetzt in ganz Nordrhein-Westfalen die einzige türkische Beraterin beim Weißen Ring. Dabei ist ihre Hilfe nicht nur deswegen so wertvoll, weil sie die Sprache der Opfer spricht, sondern auch weil sie sich mit der Kultur und den Traditionen auskennt und deswegen die Geschichten nachvollziehen kann.

Oft vollzieht sich Gewalt nach einem Schema: Einer der Partner ist in Deutschland aufgewachsen. "Da gibt es Auseinandersetzungen. Und dadurch entwickelt sich Streit und dadurch häusliche Gewalt." Für die in ihren Traditionen verwurzelten türkischen Frauen ist der Entschluss, eine Beratungsstelle aufzusuchen, schon schwer genug. Ungleich schwerer jedoch ist für sie der weitere Schritt hin zu einer Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann. Derya Karaüzüm hilft ihren Landsfrauen nicht nur bei den dann nötigen Behördengängen und beim Ausfüllen der Anträge. Sie macht ihnen darüber hinaus Mut, die beabsichtigte Trennung durchzustehen. In jedem einzelnen Fall setzt sie sich für die Opfer ein. Umso enttäuschender ist für sie jedes Mal die Tatsache, dass die meisten türkischen Frauen letztendlich doch zu ihren Ehemännern zurückkehren: "Sie wissen nicht, was sie machen sollen, sie sind hilflos", sagt Karaüzüm.

Die Sache mit den Schwüren

Marianne Weich vom Weißen Ring Köln muss auch aber bei den deutschen Frauen mit den gleichen Problemen kämpfen. Auch sie enttäuscht es immer wieder sehr, dass die Opfer ihre Anzeige gegen den Ehemann oft nicht aufrechterhalten. "Sie erstatten Anzeige, die Polizei kommt, und häufig wird noch in der gleichen Nacht der Mann wieder aufgenommen. Er kommt dann, entschuldigt sich und schwört, dass er seine Frau nie mehr schlagen wird." Und dann nehmen die Frauen ihn wieder auf - und die Anzeige zurück.

Obwohl Derya Karaüzüm und Marianne Weich den nächsten Anruf bei der Polizei meist schon vorhersehen können, nehmen sie es wortlos hin, wenn wieder einmal eine Anzeige zurückgezogen wird. Die Mitarbeiter des Weißen Rings sind für die Opfer da, wenn sie Hilfe brauchen, aber ihren Weg gehen müssen sie selbst.