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Gespräche über Verschwundene im Kosovo-Krieg

17. März 2005

Über 5.600 Menschen gelten seit dem Krieg im Kosovo als vermisst. Erste Verhandlungen zwischen Belgrad und Prishtina brachen nach den März-Unruhen 2004 ab. Jetzt wurden erstmals wieder direkte Gespräche geführt.

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Viele Vermisste sind in Massengräbern gelandetBild: AP

Die 80-jährige Hanemshahe Batusha aus Krusha e Vogel, einem Dorf im Süden des Kosovo, lebt wie viele kosovarische Mütter mit der Hoffnung, eines Tag eine Nachricht über das Schicksal ihrer vermissten Söhne und Enkel zu hören. Diese sind im Frühjahr 1999 während des Kosovo-Krieges von serbischen Soldaten oder Polizisten verschleppt worden. Sie erzählt: "Acht, - drei Söhne und fünf Enkel! Wir gehen nicht ins Bett und wachen nie auf, ohne zu weinen. Heute haben wir auch geweint. Schauten nach der Tür. Ach, fünf Enkel! Sie waren so jung und lieb. Die serbische Polizei ließ sie nicht groß werden, sie riss sie von den Armen der Mutter. Nur dieser Junge ist uns geblieben, er war damals vier Jahre alt. Er wollte seinen Vater nicht loslassen. 'Ich will mit meinem Papa, ich will mit meinem Papa gehen', weinte er. Sie haben uns verjagt und unsere Häuser ins Brand gesteckt. Wir wurden weinend über den Fluss Drini nach Albanien vertrieben. Allein mit den Kindern, ohne die Männer. Wir haben so schwer gelitten. Deswegen können wir sie nie vergessen. Nein, unsere Liebsten können nie vergessen werden!"

Hilfe durch das Rote Kreuz

Wie die 80-jährige Batusha leben noch tausende Kosovaren in Ungewissheit. Sie erhoffen sich sichtbare Fortschritte vom 16. März. Dann findet nämlich in der serbischen Hauptstadt Belgrad unter der Führung des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) ein Treffen zwischen Vertretern aus Prishtina und Belgrad stattfinden, um den Dialog über die Kriegsvermissten aus dem Kosovo aufzunehmen.

Gleich nach dem Kriegsende im Juni 1999 begann das Internationale Rote Kreuz im Kosovo mit der Registrierung von Vermissten: 5602 Namen wurden damals gezählt. Bis heute wurden aus den Massengräbern im Kosovo 893 Leichnamen exhumiert, identifiziert und wieder beerdigt. Auf der Basis eines Memorandums zwischen Belgrad und Prishtina konnte das Schicksal vieler Verschleppter in den serbischen Gefängnissen aufgeklärt werden: 439 albanische Zivilisten wurden aus den Gefängnissen entlassen und sind nach Hause zurückgekehrt.

Noch immer vermisst

Zurzeit sind in den Registern von UNMIK und Internationalem Roten Kreuz noch 3192 Zivilisten als Vermisste aus dem Krieg aufgelistet, unter ihnen 2460 Albaner, 529 Serben und 203 Angehörige anderer Volksgruppen. Nach dem Ende des Milosevic-Regimes sind in Serbien weitere Massengräber mit zivilen kosovo-albanischen Opfern entdeckt worden. Nach Angaben des IRK wurden in den Massengräbern von Batajnica und Bajna Bashta in der Nähe von Belgrad bisher rund 1000 Leichen entdeckt, die noch identifiziert werden müssen. Mittlerweile wurden 330 Leichname aus Serbien nach Kosovo überführt und an die Angehörigen zur Bestattung übergeben. Die Verzögerungen bei der Rückgabe der Leichname haben mehrfach zu Protesten der Familien von Vermissten im Kosovo geführt.

Ungewisses Schicksal

Das Schicksal vermisster Angehöriger belastet auch die serbische Bevölkerung im Kosovo. Simo Spasic, Vorsitzender des Vereins für die vermissten Serben, wünscht eine Antwort über das Schicksal der 529 noch immer vermissten Serben. Doch er ist skeptisch über die Erfolgsaussichten des Belgrader Treffens: "Eine Mutter kann nicht begreifen, dass sich der Verbrecher, der verantwortlich für das Schicksal ihres Sohnes ist, frei bewegen kann. Wir befürchten, dass das Treffen von Belgrad wieder ein Fehlschlag sein wird, denn seit 1999 sind mehrere ähnliche Treffen gescheitert. Leider sind weder Angehörige der albanischen Vermissten noch Angehörige der serbischen Vermissten an diesen Treffen beteiligt. Das ist inakzeptabel! Denn niemand kann besser diese Tragödie erläutern als die Betroffenen, die das an der eigenen Haut erlebt haben. Wir können deshalb nicht erlauben, dass solche Treffen ohne uns stattfinden."

Vergessenes Problem

Doch beim Belgrader Dialog werden Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes und des UN-Büros für die Vermissten sprechen, sagt Ragip Zekolli, Leiter der kosovarische Arbeitsgruppe. Der Delegation aus Kosovo ist multiethnisch zusammengesetzt, darunter die Serbin Katarina Agancic. Ragip Zekolli war bereits früher Leiter der kosovarischen Arbeitsgruppe im Gespräch mit Belgrad. Diesmal verbindet er konkrete Hoffnungen mit dem Dialog: "Ich habe zwei Hoffnungen: Erstens, dass die internationale Gemeinschaft im Kosovo ernsthaft beginnt, das Problem der Vermissten anzugehen. Seit Sören Jessen-Petersen die UNMIK führt, hat es große Fortschritte in diesem Themenkomplex gegeben. Er hat dieses Problem intensiv vor dem Sicherheitsrat der UN vorgestellt und diskutiert. Zweitens hoffe ich, dass die Anwesenheit von Vertretern der sogenannten Kontaktgruppe ein Garant für einen möglichen Erfolg des Treffens ist. Denn diese Kontaktländer sind nicht nur auf Kosovo bezogen, sondern haben die Perspektive der Weltpolitik." Zekolli ist der Meinung, dass das Problem der Vermissten entpolitisiert werden müsse. Es sei eine humanitäre Frage, die mit Würde der Menschen zu tun habe.

Fadil Gashi, zurzeit Prishtina
DW-RADIO/Albanisch, 9.3. 2005, Fokus Ost-Südost