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Offene Wissensquelle im Web

Kerstin Hilt7. März 2005

Im Internet entsteht seit vier Jahren mit "Wikipedia" eine mehrsprachige Enzyklopädie, an der jeder, der will, mitschreiben kann. Diese Offenheit bringt aber auch Probleme mit sich.

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Als kurz nach Weihnachten 2004 im Indischen Ozean der Meeresboden bebte und eine riesige Flutwelle die Küsten der Region unter sich begrub, hatten die meisten das Wort "Tsunami" noch nie gehört. Doch aus dem Internet kam unerwartet Hilfe - vom Netz-Lexikon "Wikipedia". Einen geologischen Fachartikel über Seebeben gab es dort schon seit langem. Nun aktualisierten ein paar Dutzend Freiwillige den Text im Stundentakt, führten Listen mit Toten und Vermissten und stellten Links zu Hilfsorganisationen ins Netz.

Aktuell schnell reagieren

Mathias Schindler vom deutschen Wikipedia-Vorstand sagt dazu: "Grundsätzlich glaube ich, dass Wikipedia das erste Projekt ist im enzyklopädischen Bereich, das sich die Vorteile des Internets tatsächlich zunutze macht. Anders als die konventionellen Lexika können wir auf aktuelle Ereignisse schnell reagieren - und uns dadurch ständig verbessern. Unser Tsunami-Artikel ist jetzt zum Beispiel weit umfangreicher als er es vorher war. Diese Vorteile habe ich nur im Internet."

Angefangen hat alles mit einem Traum: Ein Lexikon, das für jeden frei zugänglich ist, ohne Schranken, ohne Kosten - und das immer besser wird, weil möglichst viele an ihm mitschreiben. Jimmy Wales, der Gründer von Wikipedia, hat sich dafür die freie Software Linux zum Vorbild genommen; und als er in den späten 1990er-Jahren mit ein paar Aktien am Neuen Markt in kurzer Zeit ein kleines Vermögen verdient, kauft er sich vier Hochleistungs-Server, richtet sich eine Internet-Domain ein, www.wikipedia.org, und legt los.

Brockhaus-Autoren als heimliche Helfer?

Heute, gut vier Jahre später, gibt es Wikipedia in 80 Sprachen - auf Englisch, Französisch oder Chinesisch genauso wie auf Urdu oder Walisisch. Hinter dem Erfolg steht ein ungezähltes Heer unbekannter Freiwilliger. An der deutschen Ausgabe, so vermutet Schindler, schreiben sogar heimlich ein paar Autoren des Lexikon-Verlags Brockhaus mit.

Wikipedia sieht sich als "Enzyklopädie von unten" und trägt Streitigkeiten offen aus. Und die tauchen immer dann auf, wenn Lexikoneinträge etwas mit Politik zu tun haben - jüngstes Beispiel: die israelischen Befestigungsanlagen an der Grenze zu Palästina. "Da fängt der Streit tatsächlich schon beim Begriff an: Soll man das ganze nun - mit abwertendem Unterton - 'Mauer' nennen, oder doch eher, wie es die israelische Regierung tut, 'Anti-Terror-Zaun'?, erzählt Schindler von der Debatte. Das Web-Lexikon wolle neutral sein. "Wir haben uns dann auf den Begriff 'israelische Sperranlage' geeinigt, dem Artikel dann aber noch einen Absatz hinzugefügt, der auch alle anderen Bezeichnungen auflistet und erklärt"

Selbstkontrolle funktioniert nicht

Gerade diese Offenheit für Streit und Diskussion macht Wikipedia auch angreifbar. Denn egal ob Autodidakt oder hochdekorierter Wissenschaftler: jeder, der sich dazu berufen fühlt, kann hier neue Artikel anlegen oder alte korrigieren. Nur die kostenlose Bearbeitungs-Software muss man sich dafür aus dem Netz herunterladen. Einzige Kontrollmöglichkeit: Alle Artikel-Versionen werden gespeichert, so dass man jede Änderung nachvollziehen kann. Fehler sollten sich so mit der Zeit von selbst korrigieren, argumentieren die Anhänger von Wikipedia.

Die Erfahrung lehrt das Gegenteil. Daraus will man nun Konsequenzen ziehen: Wikipedia wolle ein Modell schaffen, in dem man eine gelungene Version eines Artikels als stabil festhalten könne. Die wäre dann vielleicht nicht auf die Minute aktuell, könnte dafür aber ein höheres Maß an Sicherheit bieten. Könnte es vielleicht auch irgendwann soweit sein, dass Wikipedia als Buch im Regal steht? Schindler meint dazu: "Wikipedia zu drucken - das wäre eher ein Projekt für die nächste Dekade."