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Eine schnelle Unabhängigkeit für Kosovo?

3. Februar 2005

In die Debatte um die Lösung der Kosovo-Frage ist Bewegung gekommen. Deutsche Politiker aller Fraktionen nehmen Stellung und fordern ein stärkeres europäisches Engagement.

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Nachdenken in Berlin über die Zukunft des KosovoBild: AP


Kosovo sollte schnell unabhängig werden, um neue kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden, heißt es in einem Bericht der 'Internationalen Krisengruppe' (ICG). Dieser Bericht und ein Hearing mit europäischen Abgeordneten sowie führenden Politikern aus Belgrad und Prishtina haben in den vergangenen Tagen Schlagzeilen gemacht. In Interviews mit DW-RADIO/Albanisch nehmen deutsche Politiker zur Diskussion um die Zukunft Kosovos Stellung.

Uta Zapf, SPD-Bundestagsabgeordnete und Kuratoriumsmitglied bei der ICG (International Crisis Group):

Ich bin mit ICG einig, dass der endgültige Status, die Souveränität, unabdingbar ist. Da gibt es keine andere Lösung. Das sage ich schon seit vielen Jahren. Durch die Märzereignisse im vorigen Jahr und die mangelnde Umsetzung der Standards ist alles noch komplizierter geworden. Da hat die ICG jetzt eine Art Zeitrahmen aufgestellt mit Übergangsschritten, die ich im Prinzip für richtig halte.

Es gibt nur einen ganz schwierigen Punkt an den Empfehlungen: Das ist der Punkt, wo sie sagen, notfalls auch ohne Serbien. Ich habe da erhebliche Zweifel, dass das im Kontext der ganzen Region gut wäre. Denn Serbien ist ein Land, das berücksichtigt werden muss in seinen Interessen. Es muss auf alle Fälle versucht werden, unter allen Umständen, den Dialog mit Serbien wieder anzukurbeln, und zwar nicht auf informeller Ebene, was ja immer wieder geschieht, sondern direkt die Frage über den zukünftigen Status mit Serbien zu diskutieren. Dabei wird es wichtig sein, dass Serbien nicht als Verlierer dasteht, sondern etwas dafür bekommt, dass man auch politisch gegenüber der eher nationalistisch eingestellten Bevölkerung etwas vorweisen kann, d.h., die Europäer müssten Serbien ein stärkeres Angebot machen. Das passiert im Moment deshalb nicht, weil die sich völlig dem UNO-Kriegsverbrechertribunal verweigern.

An die Kosovaren wird auch in den Empfehlungen ganz explizit die Forderung gestellt, dieses Problem (Schutz der serbischen Minderheit) zivil zu lösen. Das ist eine Grundvoraussetzung. Zweitens, dass sie keine weiteren territorialen Aspirationen haben, also vielleicht mit Albanien sich zu vereinigen, oder andere Territorien in der Nachbarschaft einzuverleiben, oder sich mit denen zu vereinigen zu wollen, das würde ja insbesondere auf Mazedonien abzielen. Und dann muss der ganze Prozess international überwacht werden. Das sind drei Dinge, die ich für notwendig halte, die den Kosovaren natürlich auch erhebliches abverlangen. Da haben sie noch Hausaufgaben zu machen.

Doris Pack, Christdemokratin und Vorsitzende der EP-Delegation für den Westbalkan, fordert, die Realität vor Ort anzuerkennen:

Belgrad muss sich einfach davon verabschieden, nur noch rückwärts zu schauen. Es gibt Fakten, an denen kommen sie nicht vorbei: Jeder weiß, dass Kosovo nicht mehr unter einer serbischen Regierung wird arbeiten können. Deswegen muss man sich nach einer Lösung umschauen, und zwar im Interesse der Serben, die im Kosovo wohnen oder zurück wollen, und im Interesse der Kosovo–Albaner. Ich bin dafür, die Fakten, die jetzt sind, anzuerkennen, das heißt, es wird keine Grenzänderung geben. Es gibt eine Grenze. Die Grenze um Kosovo bestand in Jugoslawien. Diese Grenze soll geachtet werden, und wir müssen von der Kosovo–Regierung, wenn sie unabhängig werden sollten, erwarten, zunächst einmal die Sicherheit bekommen, dass es nie eine Grenzänderung geben wird, weder in Richtung Serbien, noch in Richtung Mazedonien, noch in Richtung Albanien, noch in Richtung Montenegro. Dies ist ein Faktum, das muss ganz sichergestellt werden, dafür muss es Garantien geben.

Das zweite ist, dass die Behandlung der Minderheiten so sein muss, dass sie den europäischen Standards entspricht. Es muss jetzt schon ein ganz verstärkter Druck ausgeübt werden, dass die Dezentralisierung im Kosovo vorangeht. Das ist auch ein Zeichen für die Serben. Und es muss dazu kommen, dass Belgrad endlich auf die Parallelstrukturen verzichtet. Es wird aber nur darauf verzichten, wenn die Dezentralisierung weitergeht. Also, es kommt nicht ein Donnerschlag und dann gibt es eine Lösung, sondern es muss von allen Seiten darauf hingearbeitet werden.

Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion:

Ich glaube zunächst, dass Kosovo alleine nur sehr schwer lebensfähig sein wird. Ich sehe zweitens, dass in diesem Schritt, wenn er im Jahre 2005 kommt, dass dadurch Impulse auf andere Regionalkonflikte ausgehen, und diese Regionalkonflikte ja in der Schwebe sind. Beispielsweise Montenegro. Das hat auch Auswirkungen auf andere Regionen. Deshalb, glaube ich, zum Beispiel, dass die Russen hier sehr vorsichtig sein werden, diesem Modell zuzustimmen, u. a. auch wegen der Tschetschenien-Frage. Was ich hier vermisse, ist in der Tat eine verstärkte Rolle der EU. Die EU hat in Thessaloniki ein eindeutiges Statement abgegeben, dass diese Region zu Europa gehört und an die EU herangeführt wird. Und ich glaube, dass die EU die Pflicht hat, hier stärker am Lösungsansatz beteiligt zu sein, als dass in dem ICG-Vorschlag vorkommt. Ich spreche über dieses Thema häufig mit Amerikanern. Die Amerikaner haben so viele Baustellen und andere Probleme, dass sie froh wären, wenn die Europäer diese Aufgabe verantwortungsvoll übernehmen würden.

Ich glaube, dass dieser europäische Vorschlag auch für Belgrad der einzige Vorschlag ist, der politisch verdaubar ist. Ich glaube, dass diese unmittelbare Unabhängigkeit, die die ICG jetzt vorschlägt für Belgrad politisch unverdaubar ist, und mir liegt daran, soweit wie möglich zu versuchen, Belgrad einzubeziehen. Das sollten wir tun. Es gibt aus Belgrad im Augenblick durchaus widersprüchliche und zum Teil fragwürdige Signale, aber wir müssen daran arbeiten, dass wir Serbien-Montenegro und Belgrad in diesen Prozess miteinbeziehen.

Gisela Kallenbach, Europa-Abgeordnete der Grünen war drei Jahre für die UNMIK im Kosovo tätig:

Grundsätzlich bin ich froh, dass endlich das internationale und nicht nur das europäische Interesse wieder auf den Westbalkan und Kosovo gerichtet ist. Ich hoffe, dass die EU-Institutionen einen wichtigen Part übernehmen werden, weil das Gebiet zur Europa gehört und wir dafür eine Verantwortung tragen. Ich denke, dass wir unbedingt eine Gesamtstrategie für den westlichen Balkan brauchen, um zu vermeiden, dass wir in wenigen Jahren ein Gebiet haben, dass wie eine Insel sich darstellt. Sowohl Kosovo, als auch Serbien-Montenegro, Albanien, Mazedonien, Bosnien Herzegowina werden von EU-Mitgliedstaaten umgeben sein. Es wäre fatal, wenn wir keine zeitlich gebundene schrittweise Annäherung für die EU hätten. Ein wichtiges Instrument ist das Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen, und mit dessen Hilfe können ja Heranführungsprogramme an die EU durchgeführt werden. Es ist auch eine wichtige Botschaft an die Länder, weil man den Beitritt zu Europa nicht mit links machen kann. Das setzt Bedingungen voraus, die die Länder mitbringen müssen.

Ich denke, dass es zwei Dinge gibt, die total unakzeptabel sind: Eine Teilung Kosovos oder eine Wiedereingliederung in die Souveränität Serbiens. Auch ist es unvorstellbar, dass man auf ewige Zeiten hin ein internationales Protektorat beibehält. Die Meinungen gingen ganz deutlich auf eine konditionierte Unabhängigkeit, bei klar definierten Konditionen. Das sind die Rechte der Minderheiten, Bewegungsfreiheit, es geht darum das keinen neuen Grenzen geschaffen werden und dass auch Gedanken an Großalbanien ad acta gelegt werden sollten, wie wir längst uns positioniert hatten zu einem Großserbien. Ich glaube, dass gerade auch unser Außenminister sich der Bedeutung einer Lösung für die Region des Westbalkans für ganz Europa sehr bewusst ist. Europa kann es sich nicht leisten dieses Teil von Europa aus den Augen zu verlieren. Ich bin überzeugt, dass Deutschland eine aktive Rolle spielt.

Christian Schmidt, Verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion:

Die Status-Frage ist bisher unbefriedigend erfüllt oder eben nicht erfüllt. Ich glaube, dass man mittlere Wege finden muss, dass sie Stück für Stück erfüllt werden und dass die Status-Frage, wenn sie noch nicht ganz gelöst werden kann, zumindest in wichtigen Ansätzen angegangen wird: Z.B. wer kann über Grundstücke entscheiden und verfügen und wer kann dort investieren? Solche Fragen müssen gelöst werden, weil man nicht noch zehn Jahren warten kann bis der Sicherheitsrat irgendeine Entscheidung trifft. Das muss jetzt passieren. Und dann wird sich eine pragmatische Entwicklung ergeben und irgendwann am Ende steht eine Korrektur der Resolution 1244. Die Menschen im Kosovo müssen sehen, dass das Engagement der internationalen Gemeinschaft nicht nur Sicherheit bringt, sondern auch in der Lage ist, wirtschaftliche Entwicklungen zu garantieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass über Kosovo volle serbische Souveränität jemals wieder entsteht. Wichtig ist aber, dass man Belgrad mit an den Tisch bekommt. Deswegen ist sehr wichtig, dass der Hohe Repräsentant, Jessen-Petersen, einen Dialog mit Premierminister Kostunica sucht, um dann einen gemeinsamen Modus zu finden. Es wird sehr schwierig, aber ich glaube, das muss so gemacht werden. Wen es ist in Deutschland gelungen ist, dass die Mauer in Berlin fällt, dann muss es auch zwischen Kosovo und Serbien und der internationalen Gemeinschaft eine vernünftige Lösung geben.

Die Interviews führten Anila Shuka,
Adelheid Feilcke-Tiemann, Bahri Cani

DW-RADIO/Albanisch, 26.-31.1.2005, Fokus Ost-Südost