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Sprachen in Gefahr

Kerstin Hilt23. Januar 2005

Hunderte von ihnen gibt es allein bei den Indianern Amerikas, aber auch eine in Deutschland. Die Rede ist von Sprachen, die nur noch von verschwindenden Minderheiten gesprochen werden.

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Indianer in Nordamerika:<br>bedrohte Völker, bedrohte SprachenBild: dpa

6500 Sprachen gibt es insgesamt auf der Welt, und mindestens jede dritte von ihnen wird so selten verwendet, dass sie akut vom Aussterben bedroht ist. Die deutsche Volkswagen-Stiftung will ihnen dieses Schicksal ersparen: Hier können Wissenschaftler Geld beantragen, die bedrohte Sprachen aufzeichnen und so dabei helfen möchten, sie zu bewahren.

Globalisierung als Bedrohung

Wenn Vera Szöllösi die vielen Anträge auf ihrem Schreibtisch durchgeht, dann ist sie immer wieder überwältigt von der Vielfalt, die das Universum der Sprachen auszeichnet: Keine Grammatik gleiche der anderen, manchmal finde man 20 Ausdrücke für ein und denselben Gegenstand. Immer wieder treffe sie auf Sprachen, deren unterschiedliche Schnalzlaute oder Pfiffe sie beim besten Willen nicht auseinander halten könne.

Doch die Sprachen, die Vera Szöllösi so begeistern, sind in Gefahr. Die Gründe dafür, sie lassen sich mit dem griffigen Terminus "Globalisierung" zusammenfassen: Früher konnten manche Sprachgemeinschaften jahrhundertelang existieren, ohne mit der Außenwelt in Kontakt zu kommen.

Heute ist das anders. Man treibt Handel, die Jüngeren gehen fort und suchen Arbeit in der Stadt, und zu den Daheimgebliebenen kommt die Stadt per Satellit: "Alle schauen Fernsehen, auch im Busch wird Fernsehen geschaut, und das Fernsehprogramm ist in der Regel immer in der Nationalsprache", sagt Vera Szöllösi. "Und das ist eben nicht die, die in einer kleinen Sprechergemeinschaft gesprochen wird."

Aber ohne Sprache keine Identität: In Erzählungen, Märchen und Mythen gibt eine Gemeinschaft ihr kulturelles Erbe weiter. Die Sprache entscheidet, wie man sich die Welt erklärt.

So unterschiedlich wie die Lebensbedingungen sind auch die Sprachen selbst: Gefährdete Sprachen gibt es im Moment bei den Aborigines im australischen Outback, bei Turk-Stämmen in Sibirien, bei den nordamerikanischen Indianern, in Dörfern mitten im brasilianischen Dschungel - aber auch in Deutschland, bei den Sorben.

Zeitraubende Dokumentationen

Sorbische Kita
Im wendischen Kindergarten von Cottbus-Sielow wird auch Sorbisch gesprochenBild: dpa

Gute Überlebenschancen hat eine Sprache dann, wenn sie noch immer von Generation zu Generation weitergegeben wird. Noch besser ist es, wenn sie auch in der Schule unterrichtet wird. Doch das ist nicht immer einfach. Zwar setzt sich die Welt-Kulturorganisation Unesco für ein Recht auf die eigene Sprache ein; in der Praxis dürfte das jedoch kaum umzusetzen sein. Wissenschaftler möchten die bedrohten Sprachen deshalb wenigstens aufzeichnen.

Bei Vera Szöllösi und der Volkswagen-Stiftung können sie sich dafür um eine Finanzierung bewerben. Denn eine Sprache zu dokumentieren kostet Zeit und Geld: Mit Video- und Audio-Geräten werden vor Ort Gespräche, Rituale, Geschichten, Tänze und Alltagskommunikation aufgenommen. Diese Aufnahmen werden dann transkribiert und wissenschaftlich beschrieben - mit allem linguistischen Handwerkszeug, was man zur Verfügung hat.

Gefördert werden derzeit neun Projekte, etwa Tsafiki in Ekuador oder Hocank, die Sprache der Sioux-Indianer Nordamerikas. Besonders wichtig ist Vera Szöllösi dabei, dass die Wissenschaftler und Sprachgemeinschaften eng zusammenarbeiten. Doch meistens ergebe sich das von ganz alleine: Schließlich kann man auch vor Ort etwas mit den gesammelten Dokumenten anfangen - und sei es im Schulunterricht.