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Der "Turkmenbaschi" hat alles im Griff

Britta Kleymann / (stl)19. Dezember 2004

In der südlichsten zentralasiatischen Republik ist am Sonntag (19.12.) ein neues Parlament gewählt worden. Demokratische Grundsätze spielten dabei kaum eine störende Rolle.

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Personenkult: vergoldete Büste des Staatspräsidenten NijasowBild: AP

Auf dem Papier hört sich alles so gut an: Turkmenistan, eine Präsidialrepublik mit Volksrat und einem Einkammernparlament, dem so genannten Madschlis, dessen Abgeordnete alle fünf Jahre direkt gewählt werden. Soweit die Theorie. Doch in Turkmenistan herrscht seit Jahren der autoritäre Präsident Saparmurat Nijasow mit seiner Einheitspartei, oppositionelle Bündnisse sind verboten.

Dass die Praxis ganz anders aussieht, weiß auch Nurmuchammed Chanamov. Er war Botschafter Turkmenistans in der Türkei und Israel. Heute leitet er eine Oppositionspartei im Exil. Wahlen in Turkmenistan, weiss er, sind eine reine Formsache: "Im Prinzip bräuchte man in Turkmenistan gar keine Wahlen stattfinden lassen. Ob es Wahlen gibt oder ob es keine gibt - die Abgeordneten werden auf jeden Fall gewählt." Aber irgendwie müsse ja "beweisen" werden, dass Turkmenistan ein demokratischer Staat mit demokratischen Wahlen sei, erläutert Chanamov.

Despot und autokratische Leitfigur

Denn in Turkmenistan hat nur einer das Sagen: Saparmurad Nijasow, erster und bisher einziger Staatspräsident seit der Unabhängigkeit des Landes 1990. Als Turkmenbaschi, also "Vater aller Turkmenen", lässt er sich verehren. Gebäude, Straßen und sogar Monate tragen seinen Namen. Turkmenbaschi hält alle Fäden in der Hand: er ist Regierungschef, Parteivorsitzender der Einheitspartei, Chef des Geheimdienstes, Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und seit 1999 auch noch Staatspräsident auf Lebenszeit, ernannt durch das Parlament.

Für diese politischen Verhältnisse finden selbst Experten nur schwer Worte. "Man könnte es als eine Extremform einer patrimonialen oder sultanistischen Herrschaft beschreiben, wo alle Entscheidungen von einer Person getroffen werden und es überhaupt keine Handlungsautonomie für die ganze Regierung gibt." So lautet der Erklärungsversuch von Paul Georg Geiss, Zentralasien-Experte am Orient-Institut der Universität Hamburg.

Präsident Nijasow behandle seine Minister wie Puppen, so Geiss weiter. Sie sind vollkommen von ihm abhängig. Dazu kommt eine äußerst willkürliche Personalpolitik - Minister und Staatsangestellte sind maximal ein halbes Jahr im Amt. Fällt auch nur eine Ernte nicht zur Zufriedenheit des Präsidenten aus, wird sofort jemand entlassen.

Kein Widerstand

Politische Mitbestimmung oder gar Wettbewerb scheinen so gut wie unmöglich. Auch die Wahlen am Sonntag wurden zur Farce. Laut Wahlgesetz kann jeder Bürger Turkmenistans kandidieren, der am Wahltag sein 25. Lebensjahr erreicht hat und mindestens zehn Jahre in der Republik lebt. Aber alle Kandidaten wurden vor ihrer Zulassung zur Wahl auf ihre Gesinnung überprüft.

Turkmenistan: Aschchabad - Palast des Präsidenten
Palast des Präsidenten in der turkmenischen Hauptstadt AschchabadBild: dpa

Immerhin: in diesem Jahr standen zum ersten Mal pro Wahlkreis deutlich mehr Kandidaten zur Wahl als bisher - um die 50 Sitze im Parlament bewarben sich 139 Männer und Frauen. Doch ihre Wahl wird kaum etwas in der politischen Landschaft verändern. Präsident Nijasow sitzt fest im Sattel, und das werde wohl auch so bleiben, meint Oliver Geiss: "Ich glaube, dass nur von innen, aus seiner unmittelbaren Umgebung, vielleicht eine Gefahr für ihn droht. Die Leute in den Regierungsinstitutionen, erst recht die einfache Bevölkerung, sind nicht in der Lage, irgendeinen Widerstand zu leisten."

Zugang zu Informationen versperrt

Die einfache Bevölkerung hat zudem kaum Zugang zu Informationen. Was außerhalb des Landes vor sich geht, erfahren sie häufig nicht. Gerade außerhalb der Städte haben die Menschen kaum Zugang zu Bildung und sind der staatlichen Propaganda schutzlos ausgeliefert.

Nurmuchammed Chanamov sieht darin das Hauptproblem: "Ein Großteil der Bevölkerung weiß zum Beispiel nichts über die aktuellen Ereignisse in der Ukraine. Es ist schwierig, an solche Informationen zu kommen," sagt er. Hätten jedoch alle freien Zugang zu diesen Nachrichten, dann würde auch das turkmenische Volk verstehen, dass in den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken das Volk in der Lage ist, seine Freiheit erfolgreich zu verteidigen und Gerechtigkeit zu fordern. Davon ist Chanamov überzeugt, "aber in Turkmenistan ist das unmöglich."

Keine internationale Wahlbeobachtung

Nijasows Buch Ruhnama
Pflichtlektüre für alle Bürger: das "Buch der Seele", verfasst von Staatspräsident NijasowBild: AP

Und so verlief die Wahl ganz nach dem Geschmack des Präsidenten. Internationale Wahlbeobachter, etwa von der OSZE, waren nicht zugelassen. Das dem Präsidenten unterstellte "Institut für Demokratie und Menschenrechte" stellte 200 turkmenische Wahlbeobachter - darunter Angehörige der Partei, der Jugendunion und der Einheitsgewerkschaft. Sie werden vermutlich nichts zu beanstanden haben. Bei den Parlamentswahlen vor fünf Jahren lag die Wahlbeteiligung nach offiziellen Angaben bei 99,6 Prozent - alle Sitze im Parlament gingen an die Regierungspartei.

Diesmal haben trotz meist leer wirkender Wahllokale nach amtlicher Darstellung drei Viertel der Wahlberechtigten an der Parlamentswahl teilgenommen. Wie die Wahlkommission am Sonntag nach Schließung der Wahllokale in der früheren sowjetischen Republik mitteilte, gaben 76,88 Prozent der Wähler ihre Stimme ab; die Abstimmung war damit gültig.