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Schwierige Vergangenheitsbewältigung

16. Dezember 2004

- Kriegsverbrecher in Serbien

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Bonn, 15.12.2004, DW-Radio / Serbisch, Filip Slavkovic

Serbien hat Schwierigkeiten mit der Vergangenheitsbewältigung. Das zeigt auch, wie man im Lande mit dem Kriegsverbrecher-Problem umgeht. Ein Background von Filip Slavkovic:

Die zwei jungen Elitesoldaten haben Wache gehalten entlang der einige Hundert Meter langen Kasernemauer als sie, im Hinterem Teil des Hochsicherheitstrakts des größten Armeekomplexes in Belgrad, auf einen der meistgesuchten Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien gestoßen sind. Das unerwartete Treffen wurde den zum Verhängnis - die Kameraden haben sie tot aufgefunden.

So oder so ähnlich passierte es am 5. Oktober dieses Jahres, dem vierten Jahrestag des friedlichen Umsturzes des langjährigen autoritären serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der seit mehr als drei Jahren in Haft des Haager Kriegsverbrechertribunals in Den Haag sitzt. Viele der Milosevic-treuen Polizei- und Armee-Offiziere sind noch auf der Flucht von der internationalen Justiz - bis an die 15, so die Haager Ankläger, finden Unterschlupf in Serbien.

Nun fielen offensichtlich die zwei Soldaten zum Opfer der so genannten "Anti-Haag-Lobby". Am Dienstag (14.12.) nämlich veröffentlichte eine eigens für den Fall eingesetzte staatliche Kommission ihren Bericht, der in jedem Detail dem ursprünglichen Bericht der Armeeermittler widersprach. Es gab keinen Streit, die Soldaten haben sich nicht gegenseitig umgebracht - sie wurden von jemandem aus der Kaserne erschossen und dieser jemand kam höchstwahrscheinlich aus dem Tunnel, dessen Eingang unweit der Mordstelle liegt.

Weiter wollten die zivilen Ermittler nicht spekulieren. Doch schon vor einem Monat schrieb die Frau des Außenministers Vuk Draskovic, Danica, - selber eine einflussreiche Politikerin - in einem Zeitungsartikel, sie wusste, wie auch viele Staatsminister auch, dass die Soldaten von den Bodyguards des ehemaligen jugoslawischen Generalstabschefs, Nebojsa Pavkovic, umgebracht wurden. Pavkovic ist wegen Kriegsverbrechen im Kosovo angeklagt und wird, so die Vermutung der Haager Ankläger, durch die nationalistischen Kräfte in der Armee geschützt.

Die Armee bestreitet dies, doch als ihre Ermittler im Fall zweier Soldaten der Lüge überführt wurden, erinnerten sich die Medien an die gesuchten Kriegsverbrecher. In dem geheimen Tunnel, der das halbe Belgrad unterirdisch durchqueren soll, gäbe es genug Platz zumindest für die Meistgesuchten - Pavkovic oder den wegen des Völkermordes von Srebrenica angeklagten bosnisch-serbischen Kriegsarmeechef Ratko Mladic. Wenn die Mörder der Elitesoldaten gefunden werden könnten, so der Tenor, könnte dies auch zu den Haager-Flüchtlingen führen.

Die Belgrader Rechtsexpertin Biljana Kovacevic-Vuco glaubt nicht daran. Gegenüber DW sagte sie: "Das wird sehr lange dauern und ich glaube, dass die Öffentlichkeit das Interesse an dem Fall verlieren wird. Dieser Fall ist meines Erachtens leider noch ein verlorener Fall in dem Versuch, die Wahrheit darüber zu erfahren, was in diesem Lande passiert."

Zudem ist die serbische Öffentlichkeit noch weit von einem Konsens über die Notwendigkeit der Vergangenheitsbewältigung entfernt. Nicht nur Teile der Presse, sondern vor allem die Parteien des ehemaligen Regimes - Sozialisten und Radikale - kämpfen mit aller Härte gegen das Kriegsverbrechertribunal. Kein Wunder, denn die Parteichefs Milosevic und Vojislav Seselj sitzen in dessen Haft. Deswegen hat auch die nur neun Monate alte konservative Regierung des Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica wenig Spielraum, sagte gegenüber der Deutschen Welle der Belgrader Politikwissenschaftler Vladimir Goati:

"Die Minderheitsregierung ist klar von der Unterstützung der Sozialisten abhängig, die verlangen, dass sie ihre staatsrechtlichen und gesetzlichen Pflichten, die Angeklagten an Den Haag auszuliefern, nicht erfüllt. In dem Moment, in dem die Regierung das tun würde, würde sie diese Unterstützung verlieren und das würde ihr Ende bedeuten. Während sie das aber nicht tut, müssen wir uns mit immer mehr Hürden auseinandersetzen."

Vor allem geht es dabei um Hürden auf dem Weg in die Europäische Union. Deren Chefdiplomat, Javier Solana, bekräftigte dies bei einem Treffen am Dienstag (14.12.) mit dem Präsidenten Serbien-Montenegros, Svetozar Marovic, in Brüssel: "Es gibt immer noch Probleme, Probleme die mit dem Tribunal in Verbindung stehen, aber ich hoffe sehr, dass diese Hürde auch gelöst werden wird." Marovic versuchte den Eindruck zu erwecken, man sei sich in Belgrad durchaus seiner Verantwortung bewusst:

"Herr Kostunica hat klar gemacht, dass die Regierung Serbiens die Absicht hat, die Verpflichtungen gegenüber Den Haag zu erfüllen, so dass es eine positive Entscheidung über die Machbarkeitsstudie Anfang März gibt. Ich glaube, dass keiner in Serbien und Montenegro, Herr Kostunica auch nicht, die Verantwortung übernehmen möchte, dass, wegen seiner Ineffizienz Serbien und Montenegro abseits der europäischen Prozesse bleiben." Die Machbarkeitsstudie soll nämlich zeigen, ob der Staatenbund reif für die Vorbereitungsphase der EU-Aufnahmeverhandlungen ist. Mit der Aufnahme rechnet man erst in etwa zehn Jahren.

Die Verweigerungspolitik der Regierung Kostunica in Bezug auf die Auslieferungen sei der einzige Grund, warum das Tribunal wahrscheinlich nicht, wie vom Weltsicherheitsrat vorgesehen, seine Arbeit bis 2008 beenden wird, klagte vor eine Woche auch der US-Diplomat Pierre Richard Prosper an. Trotzdem ist man in Belgrad nicht auf Verhaftungen, sondern auf freiwillige Überstellung der Angeklagten und die Übergabe einiger Prozesse an serbische Gerichte bedacht.

So kursieren seit Tagen Gerüchte, einer der Verantwortlichen für das Srebrenica-Massaker an mehr als 7000 Bosniaken, Armeeoffizier Vinko Pandurevic, wolle sich freiwillig stellen. Und das Parlament in Serbien erleichterte am Dienstag durch Gesetzesänderungen die Prozessführung gegen Haager-Angeklagten vor heimischer Justiz. Dass die Regierung vor eine Woche staatliche Garantien für die vorübergehende Freilassung des Kriegshetzers Seselj an das Tribunal schickte, dürfte aber in Brüssel und Washington auf wenig Verständnis gestoßen sein. (fp)