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"Rosen liebe ich immer noch"

23. November 2004

– Georgische Parlamentspräsidentin Burdschanadse über das erste Jahr nach der Revolution im Land

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Moskau, 23.11.2004, NOWYJE ISWESTIJA, russ., Irina Baramidse, aus Tbilissi

Nino Burdschanadse:

Ich hätte nie gedacht, dass ich zu den Anführern und Teilnehmern einer Revolution gehören werde. Aber ich bin ein Mensch, der für Gerechtigkeit plädiert. Als es vor einem Jahr notwendig wurde, sich zum Schutz der Gerechtigkeit einzusetzen, war ich bei meinem Volk.

Ich kann ganz offen sagen, dass ich keine Angst hatte. Natürlich freute mich die Aussicht nicht, in einem Gefängnis zu landen. Ich habe mich sogar ein paar mal erkundigt, ob ich mit anständigen Haftbedingungen rechnen könnte. Schreckliche Angst hatte ich um die Leute, die vor dem Parlament standen. Es waren sehr viele Jugendliche darunter. Als sich die Stundenten uns anschlossen, verspürte ich gleichzeitig Stolz und Angst um sie. Mein ältester Sohn war damals nicht in Tbilissi, und ich hatte Gewissensbisse, weil andere hier standen und meiner nicht dabei war. Aber er hat es geschafft, zum Höhepunkt der Revolution aus London zurückzukehren.

Auch erinnere ich mich daran, dass ich, als ich eine kurze Zeit nach der Revolution das Amt der Interimspräsidentin ausübte, das Gefühl hatte, diese Last sei schrecklich schwer, sie könne mich erdrücken. Es war die Zeit vor Neujahr. Ich werde das Geräusch der Feuerwerkskörper nie vergessen, die von den Kindern auf den Straßen der Stadt gezündet wurden. Wegen dieser Geräusche war ich ständig schrecklich angespannt. Ich hatte Angst, in der Stadt wäre erneut etwas explodiert. Ich kann ganz ehrlich sagen, dass ich zum ersten mal nach der Amtseinführung von Präsident Saakaschwili wieder richtig geschlafen habe. Womöglich ist es nicht schlecht, Präsident in einem normalen Land zu sein, aber in einem Land mit zwei ungelösten Konflikten, mit einer komplizierten sozialen Situation ist ein Präsident nicht zu beneiden.

Rosen und Veilchen sind übrigens weiterhin meine Lieblingsblumen.

Frage:

Was hat sich in Georgien in dem Jahr nach der "Rosenrevolution" zum Besseren geändert?

Burdschanadse:

Wir haben sehr vieles geleistet, aber es wäre falsch, sich damit zufrieden zu geben. Die Leute leben immer noch unter sehr schwierigen Bedingungen, aber ich glaube, wir können zumindest sagen, dass wir sie nicht belogen haben. Womöglich sind wir deren Hoffnungen nicht ganz gerecht geworden, weil von einer Revolution ein Maximum erwartet wird. Getan wurde jedoch vieles. Der Kampf gegen die Korruption hat begonnen. Ja, es gab Fehler, Vergehen, aber das kommt auch in den demokratischsten Staaten vor. In diesem Jahr haben wir den Haushalt verdoppelt, der vorher ständig gekürzt wurde, haben damit begonnen, rechtzeitig die Renten und Gehälter auszuzahlen. Wir haben die Armee, die Polizei eingekleidet, ihnen zu essen gegeben, haben ernste Reformen eingeleitet.

Frage:

Ungeachtet dessen wird der Führung des Landes in der letzten Zeit häufig vorgeworfen, von den demokratischen Regierungsnormen abzukehren. Kritiker behaupten, das Land werde nicht von Machtinstitutionen, sondern einzelnen Amtspersonen regiert.

Burdschanadse:

Institutionen können nicht regieren, weil es diese bei uns ganz einfach nicht gibt. Wir müssen jetzt alles tun, um diese aufzubauen. Der größte Fehler von Schewardnadse besteht darin, dass er keine staatlichen Institutionen aufgebaut hat. Wir haben ein zerfallenes Land geerbt. Von welchen Institutionen kann da die Rede sein. Als ich nach der "Rosenrevolution" den Sicherheitsrat einberief, funktionierte keine einzige Struktur. (...)

Frage:

Ist es Ihnen gelungen, das Parlament umzubauen?

Burdschanadse:

Das Parlament macht eine ernste Reform durch, bei deren Umsetzung es vom Europaparlament, dem Europarat und dem UN-Entwicklungsprogramm unterstützt wird. Dessen Rolle steigt. Bei den ernsten Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Parlament und der Regierung über den Haushalt und den Steuerkodex hat unser Parlament gezeigt, dass es sich nicht manipulieren lässt.

Frage:

In den georgischen Medien heißt es weiterhin, Sie wollen eine eigene politische Partei gründen.

Burdschanadse:

Wie Sie sehen, haben sich diese Gerüchte nicht bewahrheitet. Auch andere haben sich nicht bewahrheitet. Zum Beispiel, dass die "Revolutions-Troika" sich im Kampf um das Präsidentenamt zerstreiten wird. Ich persönlich schätze die Einigkeit unserer Mannschaft sehr. Solange man meinen Worten Gehör schenkt, habe ich nicht vor, Schritte zur Desintegration zu unternehmen.

Frage:

Was halten Sie von der Situation in Abchasien?

Burdschanadse:

Wir beobachten sie. Die Situation in Abchasien ist für uns sehr wichtig. Wir wünschen uns, dass dort ein Kandidat gewählt wird, der im Namen des abchasischen Volkes spricht und nicht von jemandem manipuliert wird. Nur in diesem Fall können wir einen realen Ausweg aus der komplizierten Situation finden, in dem sich das abchasische und das georgische Volk befinden. Wissen Sie, ich würde gerne die Beziehungen zu Russland in Ordnung bringen, die Mauer der Missverständnisse durchbrechen. Der letzte Besuch in Moskau hat mir zusätzliche Hoffnung gegeben. Aber ich muss sagen, dass einige russische Strukturen und Medien mich stark empören. (...)

Frage:

Der Präsident der nicht anerkannten Republik Südossetien, Eduard Kokojty, hat mehrmals behauptet, dass es in der Führung Georgiens "Kriegs- und Friedensparteien" gibt. Was halten Sie davon?

Burdschanadse:

Das ist ein falscher Standpunkt. Krieg bedeutet für mich persönlich nicht nur politisches, sondern auch reales Risiko. Weil mein ältester Sohn 19 ist. Und ich kann Ihnen versichern, sollte es, Gott bewahre, zu einem Krieg kommen, wird er sich nicht verstecken. Ich wünsche keinen Krieg und werde, solange es auch nur eine winzige Hoffnung auf eine friedliche Beilegung der Konflikte gibt, alles mögliche dafür tun. Ich versichere Ihnen, dass auch der Präsident so denkt, sonst hätten wir unsere Truppen nach der erfolgreichen Operation in der Zone des georgisch-ossetischen Konfliktes nicht abgezogen. Wir werden alles tun, um einen friedlichen Ausweg zu finden, aber wir werden nicht ewig warten, da wir die 300 000 Flüchtlinge nicht belügen können. Ich wünsche, dass die Oberhäupter der nicht anerkannten Republiken Abchasien und Südossetien das verstehen. Wir sind bereit, die Interessen dieser Völker zu respektieren, erwarten jedoch auch entgegenkommende Schritte. Ich will niemanden belügen: Sollten wir keine friedliche Lösung der Konflikte finden, so werden wir alles tun, um die Integrität unseres Landes wieder herzustellen.

Frage:

Nach dem zu schätzen, was Sie sagen, ist der Versuch misslungen, in den Beziehungen zu Russland "ein neues Kapitel aufzuschlagen".

Burdschanadse:

Ja, das stimmt. Wahrscheinlich war die Last aus der Vergangenheit zu schwer. Ich glaube jedoch, dass es eine Perspektive gibt. Es ist sehr wichtig, dass sich die russischen Politiker die Beziehungen zu Georgien von einer anderen Perspektive ansehen, dass die russischen Politiker verstehen, dass es im Interesse Russlands ist, einen stabilen, demokratischen und starken Nachbarn zu haben, der Russland gegenüber wohlwollend gestimmt ist. Wenn die Beziehungen zu Russland nicht in Gang kommen, suchen wir nach anderen Varianten. Wir sind bereit, die Interessen der russischen Politiker und Unternehmer zu berücksichtigen, was jedoch auf Gegenseitigkeit beruhen muss.

Frage: Worin besteht der größte Erfolg Ihrer Mannschaft in der Außenpolitik?

Burdschanadse:

Darin, dass wir von der ganzen zivilisierten Welt unterstützt werden. Diese Unterstützung spüren wir. (lr)