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Karaoke für Anfänger

Rainer Sollich9. März 2004

Die chinesische Sprache erfordert Fingerspitzengefühl - für Anfänger nicht immer leicht. Zum Glück gibt es die Musik, die auch ohne Worte viel sagt. Lesen Sie Teil 7 unserer China-Woche über einen anderen Sprachkurs.

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Es gibt verschiedene Methoden, um Chinesisch zu lernenBild: AP

Wer kommunizieren will, muss sich verständlich machen können. Natürlich, wer zwei Jahre beruflich ins Ausland geht, wird sich vorher mindestens rudimentäre Sprachkenntnisse aneignen: "Guten Tag", "Dankeschön", "Auf Wiedersehen!" Vor allem Höflichkeitsfloskeln, weil die bei Chinesen besonders gut ankommen. Tun sie auch - wenn sie denn verstanden werden. Das aber hat Wochen gedauert.

Es war, gerade auch wegen der Sprache, eine überaus lustige Zeit - mit Missverständnissen, die ich bis heute geradezu als legendär empfinde. Es ist für einen Europäer eben nicht einfach, Worte, die aus seiner sprachlichen Empfindung heraus ähnlich klingen, in vier verschiedenen Tonlagen auszusprechen. So kam es, dass ich im Restaurant nur ein bisschen Salz zum Nachwürzen bestellen wollte, aber stattdessen eine Packung Zigaretten erhielt. Unvergessen auch der Nachmittag in einer Teestube, wo ich einen "Tee mit acht Kostbarkeiten" ordern wollte, die Bedienung aber stattdessen mit der Bitte verwirrte, sie möge mir bitte als Getränk den Pekinger Zentralfriedhof servieren ...

Vorliebe für alte Schlager

Dass es mir nach anfänglichen Mühen schließlich doch noch gelang, mich sprachlich verständlich zu machen, war dann vor allem zwei Umständen zu verdanken. Zum einen der Kommunikationsfreudigkeit Pekinger Taxifahrer, die mich Fahrt für Fahrt in ihren lokalen Dialekt einwiesen. Und zum zweiten meiner Bekanntschaft mit der fabelhaften Sängerin Deng Li Jun, einer Frau, die fast jeder in China kennt und irgendwie schätzt. Und auch ich bekenne: Ich liebe Deng Li Jun!

Deng Li Jun war zwar bei meinem Eintreffen in China schon seit fünf Jahren tot und ich hatte noch nie zuvor in meinem Leben auch nur ihren Namen gehört. Aber Lieder wie "Tian mi mi" oder "Xiao Sheng Gu Shi", die habe ich von Anfang an geliebt - auch wenn die Intellektuellen unter meinen chinesischen Freunden sie eher kitschig finden und andere sich daran erinnern, dass ihre Eltern schon die Platten gehört haben. Damals noch heimlich, weil Deng Li Jun ihre größten Erfolge im kapitalistischen Taiwan, Hongkong und sogar in Japan feierte und ihre harmlosen Romantik-Schlager zu Mao Ze Dongs Zeiten als pornographisch galten. Für mich ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie schnell sich trotz andauerndem Machtmonopol der Kommunistischen Partei der gesellschaftliche Alltag in China verändert: Heute laufen Deng Li Juns Songs als Hintergrundmusik in jedem Supermarkt.

Freunde fürs Leben

Jedenfalls lernte ich in den nächsten Wochen und Monaten ganze Liedertexte von Deng Li Jun auswendig. Und ich bin stolz darauf, sie bei Karaoke-Abenden, von denen ich in China Hunderte genießen durfte, bis heute relativ akzentfrei vortragen zu können. Auch wenn ich mit chinesischen Freunden spreche, bezeichne ich Deng Li Jun bis heute scherzhaft als meine "Lao Po" - als "meine Frau". Mein Liebesbeweis ist keinesfalls zu verachten: Ich frage mich, ob es irgendwo auf der Welt auch nur einen Chinesen gibt, der so viele CDs und DVDs von Deng Li Jun besitzt wie ich. Meine Leidenschaft für Deng-Li-Jun-Songs hat mir in China tatsächlich mehr Türen geöffnet als jeder Versuch, Visitenkarten zweihändig zu übergeben oder mich sonstwie der überlieferten chinesischen Etikette anzupassen.

So sehr ich manchmal am politischen System in China verzweifelt bin, so sehr habe ich doch die Menschen, ihre Gewohnheiten und Kultur schätzen gelernt. Die erste Freundschaft, keine Frage, war zwar so gesehen eher imaginär, aber sie hält ungebrochen an. Es die "Freundschaft" zu jener Frau, die mir geholfen hat, immer tiefer in die wunderbare Melodik und in den Bilderreichtum der chinesischen Sprache einzutauchen: Deng Li Jun.