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Morde im Namen des Islam

19. April 2007

"Eine Lektion für die Feinde des Islam" - Die Morde an den Mitarbeitern des Bibelverlages waren religiös motiviert. Türken in Deutschland haben die Bluttag scharf verurteilt.

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Stadtbild in Malatya, Zwei muslimische, verschleierte Frauen überqueren eine Straße - im Hintergrund eine Moschee, AP
Malatya - Christen sind eine winzig kleine Minderheit in der TürkeiBild: AP

Nach dem Überfall auf ein christliches Verlagshaus in der Türkei haben vier Verdächtige die Tat gestanden, wie die Zeitung "Hürriyet" am Donnerstag (19.4.) berichtete. Den drei Todesopfern, darunter einem 46-jährigen Deutschen, seien die Kehlen durchgeschnitten worden, um Feinden des Islams "eine Lektion" zu erteilen, berichtete das Blatt. Die Behörden nahmen insgesamt zehn Personen fest. Die EU-Kommission erklärte mit Blick auf die Verhandlungen mit Ankara, jeder Beitrittskandidat müsse "die Menschenrechte respektieren, darunter die Religionsfreiheit".

Verbrechen im Namen des Islam

"Wir haben das nicht für uns selbst getan, sondern für unsere Religion", zitierte "Hürriyet" die am Mittwoch festgenommenen Verdächtigen. Laut der Nachrichtenagentur Anadolu hatte jeder der vier einen Brief bei sich, in dem sie sich als "Brüder" bezeichnen, die in den Tod gehen. Medienberichten zufolge handelt es sich um Studenten, die in einem Gebäude einer islamischen Stiftung wohnten. Ein weiterer Verdächtiger wurde im Krankenhaus behandelt.

Der scheidende türkische Präsident Ahmet Necdet Sezer verurteilte die Bluttat scharf. Nichts könne einen solchen Angriff in einer Zeit, in der "Frieden, Brüderlichkeit und Toleranz" gebraucht würden, rechtfertigen, sagte Sezer. Außenminister Abdullah Gül erklärte, der brutale Überfall habe das Ansehen der Türkei im Ausland beschädigt.

Getöteter Deutscher war Lehrer

Frau ist bestürzt und wird von einem Mann durch die Pressemeute geführt, AP
Geschockt: Frau eines der OpferBild: AP

Die Angreifer hatten ihre Opfer am Mittwoch an Händen und Füßen gefesselt und brutal ermordet. Nach Angaben des Gouverneurs von Malatya Halil Ibrahim Dasöz lebte der getötete Deutsche seit 2003 in Malatya. Laut Anadolu handelt es sich um den 46 Jahre alten Tilman G. Seine Familie wolle ihn in Malatya bestatten.

Beitrittsperspektive erneut erschüttert?

Die Frage, ob sich das Verbrechen auf die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auswirken werden, verneinte die Sprecherin von EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn, Krisztina Nagy, indirekt: Der Überfall sei von türkischen Regierungsvertretern scharf verurteilt worden. Nagy erinnerte jedoch daran, dass die Kommission von Ankara unter anderem eine Verbesserung der Rechtsstellung nicht-muslimischer Gemeinden und Stiftungen erwarte.

In Deutschland fand der kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Börnsen, hinsichtlich der EU-Beitrittspersepektive der das Landes deutlichere Worte. Die Türkei habe sich abermals der in "Europa geltenden Werte und Standards als nicht würdig erwiesen". Die Untat dürfe nicht allein als das Werk von nationalistisch-islamistisch fanatisierten jungen Männern gesehen werden. Auch die 'ganz normale' alltägliche Schikanierung von Christen in der Osttürkei sei bislang von offizieller Seite nicht unterbunden worden.

Türkische Gemeinde in Deutschland empört

Auch der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat, verurteilte den Anschlag. Es reiche nicht aus, nur Beileidserklärungen abzugeben. "Es ist höchste Zeit, die gesellschaftliche Verantwortung für diese Taten zu übernehmen und offen über die Entwicklungen in der Türkei zu sprechen", sagte Kolat.

Die Brutalität des Anschlags zeigt nach Kolats Einschätzung "das Ausmaß der gesellschaftlichen Problematik in der Türkei im Zusammenhang mit Andersgläubigen und Andersdenkenden". Er verlangte, die Gesetzgebung in der Türkei zu überprüfen und jegliche Art von Diskriminierung auf Grund ethnischer, religiöser und kultureller Zugehörigkeit sowie der sexuellen Orientierung und des Geschlechts strikt zu unterbinden. Die vorzeitige Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie wäre hierzu ein guter Schritt, so der TGD-Bundesvorsitzende.

Proteste in Istanbul

Demonstranten in Istanbul tragen ein Plakat mit der Aufschrift "Wir sind alle Christen" vor sich, AP
Solidarität in Istanbul: "Wir sind alle Christen"Bild: AP

In Istanbul protestierten rund 150 Menschen gegen das Verbrechen und zeigten sich solidarisch mit der christlichen Minderheit in der Türkei. Sie entzündeten Kerzen und entfalteten ein Plakat mit der Aufschrift "Wir sind alle Christen". Unter den 70 Millionen türkischen Staatsbürgern bilden sie eine winzige Minderheit, die allenfalls im Promillebereich zu messen ist. Es gibt schätzungsweise 100.000 Christen in der Türkei. Malatya im Osten der Türkei gilt als Hochburg der Nationalisten. (vem)