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"Das Geld wird von den Eliten gestohlen"

10. Januar 2012

In Nigeria dauern die Proteste gegen die Streichung der Treibstoffsubventionen an. Erhöhte Benzinpreise sind nicht der einzige Grund der Massenproteste, meint Thomas Mättig von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abuja.

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Thomas Mättig, Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abuja (Foto: privat)
Thomas Mättig, Landesvertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung in AbujaBild: privat

DW-WORLD.DE: Herr Mättig, wie erleben Sie den Streik in Abuja gerade?

Thomas Mättig: Abuja hat sich von einem Tag auf den anderen in eine Geisterstadt verwandelt. Die Straßen sind völlig leer. Alle Geschäfte sind geschlossen. Es gibt kaum Transport auf den Straßen, auch die Flughäfen hier im Land sind zu. Sonst hat man ja immer sehr viel Verkehr auf den Straßen, Menschen überall. Es ist völlig leer, und das scheint sich auch auf das ganze Land ausgeweitet zu haben.

Was treibt die Nigerianer zu so vehementen Protesten?

Die Abschaffung der Subventionen für Benzin ist für den normalen Nigerianer einfach eine Katastrophe. Der Preis lag vorher bei 65 Naira pro Liter, etwa 0,30 Euro. Zum 1. Januar wurde er völlig überraschend mehr als verdoppelt und liegt jetzt bei knapp 0,80 Euro. Das heißt, der Weg zur Arbeit ist erheblich teurer geworden. Sämtliche Produkte, die transportiert werden müssen, sind erheblich teurer. Die meisten Nigerianer, muss man wissen, leben ohnehin an oder unter der Armutsgrenze. Diese Benzin-Subventionen waren eigentlich die einzige Sozialleistung, die der Staat seinen Bürgern noch gegeben hat: billiges Benzin in einem Öl-exportierenden Land. Ansonsten gibt es hier nichts. Das hat natürlich die Wut hier sehr angefacht. Und auch die Tatsache, dass die Polizei offensichtlich teilweise relativ unbedacht reagiert hat auf die Proteste, macht die Situation eher noch schlimmer.

Die Gewerkschaften haben zu diesem Streik aufgerufen. Geht es tatsächlich nur um die Benzinpreiserhöhung oder steckt hinter den Protesten noch mehr?

Die Benzinpreise sind wohl eher ein Anlass. Dahinter verbirgt sich eine große Unzufriedenheit mit der Regierung. Mit der Tatsache, dass das Land eigentlich viel Geld hat, das aber irgendwo verschwindet. Nigeria exportiert pro Tag ungefähr 2,5 Millionen Barrel Öl. Das Geld wird von den Eliten gestohlen. Die Infrastruktur liegt danieder. Die Gewerkschaften waren im Dialog mit der Regierung, auch über die Abschaffung der Benzinsubvention, haben aber immer gesagt, zuvor muss die Infrastruktur instand gesetzt werden und die Korruption muss abgeschafft werden.

Die Regierung argumentiert nun aber genau anders herum. Sie sagt, wir müssen erst das Geld haben, um das zu tun. Diese acht Milliarden Dollar könne man erst dann in Infrastruktur- und Sozialprojekte stecken. Wie kommt denn diese Argumentation an?

Na ja, die meisten Nigerianer haben bisher sehr viele Versprechen in den letzten Jahren gehört. Das war häufig bei der Privatisierung von Staatsunternehmen der Fall. Und was ist passiert? Das Land ist letztlich ärmer geworden. Geld wurde gestohlen von korrupten Politikern und Wirtschaftsleuten, wurde also wirklich geklaut. Und aufgrund dieser Erfahrungen glaubt eigentlich kaum jemand den Versprechungen der Regierung.

Nigeria geht seit geraumer Zeit durch eine schwierige Phase. Stichwort: Terroranschläge, die unter dem Titel Boko Haram subsumiert werden. Haben sie irgendeine Erklärung dafür, dass sich die Regierung ausgerechnet jetzt auch noch diese Proteste auflädt?

Ehrlich gesagt nicht. Ich habe mit vielen unserer Partnerorganisationen gesprochen, die meisten können darüber nur den Kopf schütteln. Manche sagen zynisch, denen geht das Geld aus und die müssen sich jetzt neue Quellen zum Stehlen erschließen. Andere sagen, der Präsident sei einfach falsch beraten worden und habe die politischen Implikationen dieser Maßnahme, die vielleicht auf dem Papier sinnvoll aussieht, unterschätzt. Jeder weiß, dass die Subventionen nicht nur gute Effekte haben, sondern dass auch da viel Geld verschwindet. Vielleicht ist es auch der Versuch, es zu einer Zeit durchzusetzen, da es möglich ist. Denn die meisten Nigerianer haben über die Feiertage viel Geld ausgegeben und können sich einen langen Streik überhaupt nicht leisten. Man wird sehen, wie das Kräftemessen ausgeht. Auch die Regierung kann sich nicht erlauben, dass ihr Land tagelang still steht.

Das Interview führte Thomas Mösch

Redaktion: Stefanie Duckstein