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Kunst von Sinti und Roma

29. November 2011

Über Kultur, Lebensweise und Alltag der Sinti und Roma ist nur wenig bekannt. Deshalb sind Klischees und Vorurteile weit verbreitet. Eine Ausstellung in Berlin lädt nun zu Annäherung und Auseinandersetzung ein.

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Le Bas Witch Hunt Detail 02 Copyright: Delaine Le Bas 2009-11 Description: Part of Le
Bild: Delaine Le Bas 2009-11

Bonbonbunt, hübsch kitschig und bei genauerem Hinsehen bitterböse – hinterlistig spielt die in England geborene Delaine Le Bas mit hartnäckig kursierenden Stereotypen von Sinti und Roma. Ein großes, durchlöchertes Zelt hat sie in das Künstlerhaus Bethanien in Berlin Kreuzberg gestellt und eine lebensgroße Puppe hineingelegt. Eine Frau, in schöne Stoffe gekleidet, das Gesicht zum Boden geneigt. Aber sie wirkt verletzt, an Leib und mehr noch an der Seele.

Spiel mit dem Klischee

"Witch Hunt/Hexenjagd" hat Le Bas ihre raumgreifende Inszenierung genannt, die sich hinter dem Zelt fortsetzt mit einem von der Balustrade baumelnden, aufgeknüpften Brautkleid, einem Altarbild mit schwarzer Madonna, dem seltsamen Kind auf einem Schaukelpferd und einer Wandzeitung voller Graffitis, Bilder, Fragen und Befehle. Aus unendlich vielen Flohmarktfunden, mit Flaggen, Bannern, Aquarellmalereien, Bändern, Stoffen, Stickereien und politischen Symbolen hat die Künstlerin so einen Raum geschaffen, in dem Klischees vom unehrenhaften fahrenden Volk und dessen verführerischen Frauen zusammenprallen mit Zeugnissen von Verfolgung, Folter und Ermordungen. Ein grausamer, anspielungsreicher Parcour durch die Gezeiten ist das, in dem Delaine Le Bas nicht zuletzt auch eigene Stigmatisierungen verarbeitet. Denn wegen ihres Aussehens und weil sie Angehörige der "Travellers" ist, wie sich viele Roma in Großbritannien selbst bezeichnen, wurde sie als Kind sowohl als "Gypsy" wie auch als "Witch" (Hexe) beschimpft.

Installation aus Textilien, Stickerei, Malerei, Text und Objekten, Work in progress, Detail. Foto: Moritz Pankok
Delaine Le Bas (*1965, Großbritannien) Witch Hunt, 2009–2011Bild: Reconsidering Roma/Moritz Pankok

Innerhalb der Europäischen Union leben knapp 6, 2 Millionen Roma, in ganz Europa sind es über 11 Millionen. Sie unterscheiden sich nach Sprache und Traditionen, ökonomischer Lage und Religion. In vielen Ländern sind sie seit Jahrhunderten ansässig. Die Vorstellung, dass Sinti und Roma heimatlos in Europa umherziehen, ist nämlich nichts anders als ein Vorurteil der Mehrheitsgesellschaft, und das dient vor allem der Rechtfertigung von Diskriminierung und Ausgrenzung. Das wurde gleich zu Beginn des Kongresses "Was heißt denn hier Zigeuner", markant unterstrichen. Dieser zweitägige internationale Austausch fand rund um die Eröffnung der Ausstellung "Aspects of Roma Life in Contemporary Art" in Berlin statt. Geladen hatten die Allianz-Kulturstiftung und die Bundeszentrale für Politische Bildung.

Rassismus mit Tradition

Zum Auftakt las Literaturnobelpreisträgerin Hertha Müller aus einer beinahe 20 Jahre alten Reportage über Roma in ihrem Heimatland Rumänien. Darin stehen so eisige Sätze wie "Eine Redewendung sagt: Von weitem ist der Roma ein Mensch" und "Zigeuner vermehren sich wie die Ratten. Sagt man in Rumänien". Sie fürchte, sagte Hertha Müller, der Text sei heute noch aktuell. Tatsächlich, das machte Silvio Peritore deutlich, der Leiter des Referats Dokumentation im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, hat der Rassismus gegen in Europa lebende Sinti und Roma sogar deutlich zugenommen. Immer noch gelten sie als ein "ehrloses Volk", mit dem das Zusammenleben unmöglich scheint und dessen bloße Existenz Ängste auslöst.

Insbesondere in den neuen Mitgliedsstaaten der EU werden den Sinti und Roma deshalb seit Jahren demokratische Grund- und Menschenrechte entzogen sowie Chancengleichheit und gesellschaftliche Teilhabe verweigert. Die Ergebnisse einer Erhebung, die die Europäische Menschenrechtsorganisation 2008/09 in acht EU-Mitgliedsstaaten durchgeführt hat, sprechen eine eindeutige Sprache: Danach sind 60 % der Sinti und Roma bei der Arbeitssuche benachteiligt worden, ähnliche Erfahrungen haben 25% im Umgang mit Ärzten und medizinischem Personal gemacht, 18 Prozent sind Opfer ethnisch begründeter Bedrohungen. In Ungarn, so Peritore, sei die rechtsextremistische Gewalt besonders ausgeprägt. Dort wurden allein im Jahre 2009 elf Sinti und Roma nachweislich aus rassistischen Gründen ermordet.

Marjanovic, Bild aus dem Film 'Uglyville - eine Auseinandersetzung über Anti-Romaismus in Europa' RS/AT 2010. Copyright: Reconsidering Roma/Eduard Freudmann& Ivana Marjanovic
Eduard Freudmann& Ivana Marjanovic, Bild aus dem Film 'Uglyville - eine Auseinandersetzung über Anti-Romaismus in Europa'Bild: Reconsidering Roma/Eduard Freudmann& Ivana Marjanovic

Bis zu einer halben Million Sinti und Roma sind während der Zeit des Nationalsozialismus umgebracht worden. Im öffentlichen Bewusstsein wurde dieser Genozid allerdings weitgehend verdrängt und, wenn überhaupt, verharmlosend dargestellt. Als Opfer des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma nicht anerkannt, das Leiden der Überlebenden fand keine Beachtung. Am 17.3.1982 hat Helmut Schmidt, seinerzeit deutscher Bundeskanzler, die nationalsozialistischen Verbrechen erstmals als Völkermord aus Gründen des Rassismus anerkannt.

Mahnen und Erinnern

Ceija Stojka, 1933 in der Steiermark in Österreich geboren, hat das Trauma ihrer Kindheit – sie verlor im Konzentrationslager ihren Vater und ihren kleinen Bruder – in mehreren Zyklen intensiver Bilder verarbeitet. Trauer spricht aus ihren expressiven Aquarellen, die "Auschwitz ist mein Mantel" heißen und "Der Tod sitzt auf dem Krematorium". Die Künstlerin hat die Nummer "Z 6399", die ihr in Auschwitz-Birkenau auf den Arm tätowiert wurde, nie schamhaft verborgen. Sie taucht sogar auf manchen Arbeiten auf, etwa auf dem Bild "Und dennoch lebe ich".

Ähnlich drastisch konfrontiert Ceijas Bruder Karl Nachgeborene und Zeitgenossen mit dem dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. In fortgeschrittenem Alter hat er als Autodidakt zur Malerei gefunden und mahnt seitdem mit hartem Strich und grellen Farben, dass man dieses Leid nie vergessen dürfe.

Ceija Stoika aus der großen Serie 'Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz', 1997 - 2004. Tusche und Aquarell auf Papier Copyright: Reconsidering Roma/Ceija Stoika
Ceija Stoika aus der großen Serie 'Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz', 1997 - 2004.Bild: Reconsidering Roma/Ceija Stoika

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kümmert sich seit rund 30 Jahren auf nationaler und internationaler Ebene um die Belange der Minderheit. Die freilich ist auch heute noch ständig damit beschäftigt zu beweisen, dass sie anders ist als gemeinhin angenommen wird. Und regelmäßig erfährt sie Diskriminierungen. Auch in Deutschland. Auch in Berlin. Auch in ganz gewöhnlichen, vermeintlich seriösen Medien.

Eindringlich haben das Christoph Wachter und Mathias Jud dokumentiert. Ihre urbane Intervention "Hotel Gelem" erzählt unter anderem von einer Roma-Familie, die von einem dubiosen "Hilfswerk" aus einer überteuerten, baufälligen Wohnung geschmissen wurde. Niemand nahm sich ihrer an, daraufhin haben sich Vater, Mutter und die Kinder notdürftig in einem Berliner Park eingerichtet. Die lokale Presse verzichtete seinerzeit darauf, nach den Gründen für diese Besetzung des öffentlichen Raums zu fragen. Sie hat sich damit begnügt, gegen die Roma zu hetzen.

Wider die Ausgrenzung

Christoph Wachter und Mathias Jud laden neuerdings dazu ein, sich auf die realen Lebensbedingungen der Sinti und Roma einzulassen. Wer mag, kann nämlich in verschiedenen Ländern Europas ein paar Tage lang mit ihnen zusammen leben – als "Embedded Tourist" im sogenannten "Hotel Gelem", das europaweit Filialen unterhält. Eingecheckt wird online, geboten werden jede Menge neue Erfahrungen und erhellende Begegnungen, aber zumeist wenig Komfort. Als Gast der Familie im Berliner Park musste man mit einem Matratzenlager vorlieb nehmen und unter freiem Himmel kochen. Auf dem kosovarischen Flüchtlingslager Osterode lastet darüber hinaus die Angst vor Vergiftungen durch eine nahe gelegen Bleimine. Mit schwarz-weißen Fotos werben die Künstler Wachter und Jud für einen Besuch dieser Ungeheuerlichkeit. In Schlamm, Dreck und Ruinen leben hier, in einem UN-Flüchtlingslager, Sinti und Roma aus dem Kosovo, die um das Jahr 2000 brutal verfolgt und vertrieben wurden. Sie haben keine Perspektive, aber ihre Zahl könnte in naher Zukunft drastisch zunehmen. Denn die etwa 12.000 kosovarischen Roma, die bislang als geduldete Flüchtlinge in Deutschland leben, sollen trotz massiver Proteste von Menschenrechtsorganisationen in den nächsten drei, vier Jahren in eine ungewisse Zukunft abgeschoben werden.

Christoph Wachter (*1966, Schweiz) & Mathias Jud (*1974, Schweiz), Hotel Gelem Embedded Tourism, Prozessuale Intervention (DE/KOS/ SK), Görlitzer-Park, 2011
Christoph Wachter (*1966, Schweiz) & Mathias Jud (*1974, Schweiz), Hotel GelemBild: Reconsidering Roma/Christoph Wachter

"Hüten Sie sich vor den Träumen der Anderen, denn wenn Sie im Traum eines anderen gefangen sind, sind Sie verloren". Dieses Zitat von Gilles Deleuze hat Lith Ballmann, die Kuratorin der sehenswerten Berliner Ausstellung, der klugen Begleitpublikation vorangestellt. Dieses Buch ist im Wallstein Verlag unter dem Titel "Reconsidering Roma. Aspects of Roma and Sinti Life in Contemporary Art" erschienen. Es dekonstruiert Mythen, stellt unangenehme Fragen und mahnt zur Verantwortung. Und es erzählt viel über die so unterschiedlichen Künstler und Künstlerinnen, deren Arbeiten noch bis zum 11. Dezember im Künstlerhaus Bethanien zu sehen sind.  

Autorin: Silke Bartlick

Redaktion: Gudrun Stegen