1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zunehmend umstritten: Ägyptens Militärrat

13. Oktober 2011

Bei den schlimmsten Zusammenstößen in Kairo seit dem Sturz Mubaraks starben zuletzt über 20 Menschen. Die koptischen Christen machen die Armee dafür verantwortlich und kritisieren die Übergangsregierung.

https://p.dw.com/p/RqZl
Panzer vor dem Fernsehgebäude in Kairo (Foto: DW)
In Ägypten bestimmt das Militär die PolitikBild: DW

Es sollte nur eine Übergangslösung sein, aber es ist ein dauerhaftes Provisorium geworden: Seit über einem halben Jahr bestimmt das Militär die Politik in Ägypten. Das ärgert viele - schließlich hatte die Übergangsregierung im Februar versprochen, ihre Macht innerhalb von sechs Monaten abzugeben. "Damals hieß es, das Volk und das Militär gingen Hand in Hand", sagt Oliver Schlumberger, Professor für die Politik des Vorderen Orients an der Universität Tübingen. "Diese Vorstellung haben die meisten Bürger mittlerweile ad acta gelegt. Es ist klar, dass das Militär an der Macht bleiben will."

"Das Militär untergräbt den Übergangsprozess"

Oliver Schlumberger, Professor für die Politik des Vorderen Orients an der Universität Tübingen (Foto: Universität Tübingen)
Oliver Schlumberger rechnet damit, dass das Militär vorerst an der Macht bleibtBild: Universität Tübingen

In den vergangenen Wochen ist immer wieder Kritik an der Übergangsregierung laut geworden. Sie sorge sich weniger um die Sicherheit im Land als um ihre eigenen Interessen, bemängeln viele Beobachter. Eine Eskalation wie am zweiten Oktober-Sonntag (09.10.2011) hat trotzdem kaum einer vorausgesehen. Auch Shadi Hamid, Forschungsdirektor am Brookings Doha Center und Ägypten-Experte, ist von den Auseinandersetzungen in Kairo überrascht worden - obwohl man fast damit hätte rechnen müssen, meint er. "Das Militär hat nie die Demokratie gefördert, schließlich war es 30 Jahre lang das Rückgrat des Mubarak-Regimes", erläutert Hamid. "Jetzt untergräbt das Militär Ägyptens Übergangsprozess. So einfach ist das."

Dass das Militär wenig Interesse an einem echten Demokratisierungsprozess zeigt, hat einen Grund: Ein transparentes politisches System würde das Ende seiner Privilegien bedeuten - und davon haben die Soldaten eine Menge. "Ihre Privilegien beruhen in erster Linie darauf, dass sie keine Rechenschaft darüber ablegen müssen, wie sie öffentliche Mittel verwenden", betont Schlumberger. So undurchsichtig diese alten Kanäle sind, so offensichtlich ist die Strategie des Militärs: Es will Stärke zeigen, denn es setzt Stärke gleich mit Legitimation. Wenn das Land im Chaos versinkt, kann sich das Militär als Retter in der Not präsentieren. "Um dieses Bild zu vermitteln", argumentiert Schlumberger, "werden alle möglichen Ereignisse konstruiert oder zumindest geschehen gelassen."

Forderungen nach stärkerem Druck auf den Militärrat

Demonstrationen, Massenveranstaltungen und Ausschreitungen bilden für die Armee dabei eine Bühne. Dass das Militär gezielt gegen die Minderheit der koptischen Christen vorgeht, glaubt Shadi Hamid allerdings nicht: "Das ägyptische Militär hat keine klare Ideologie", sagt er. "Wer immer sich gegen das Militär und seine Interessen stellt, wird attackiert. Das können Christen sein, aber auch Islamisten oder Liberale. Klar ist: Das Militär unterdrückt alle Kritiker."

Kopten protestieren gegen die Übergangsregierung in Kairo (Foto: dapd)
Kopten protestieren gegen die Übergangsregierung in KairoBild: dapd

Kein Wunder also, dass sich die Minderheiten in Ägypten bedroht fühlen - allen voran die Kopten, die etwa ein Zehntel der Bevölkerung ausmachen. Zumal es in den vergangenen Monaten verstärkt gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen gab. Beobachter kritisieren, dass die Soldaten nicht entschieden genug dagegen vorgegangen sind und die Christen nicht ausreichend geschützt haben. Das Oberhaupt der koptischen Christen in Deutschland, Bischof Anba Damian, forderte stärkeren internationalen Druck auf den ägyptischen Militärrat. Ägypten-Experte Shadi Hamid nimmt vor allem die US-Regierung in die Pflicht, da sie ein Fünftel des ägyptischen Verteidigungsbudgets zahlt. Sie hat also ein Druckmittel in der Hand und könnte deutlich machen, dass blutige Ausschreitungen völlig inakzeptabel sind.

Der Militärrat tritt nicht ab

Wenn der Demokratisierungsprozess gelingen soll, dann wäre es ein entscheidender Schritt, die Militärführung stärker zur Verantwortung zu ziehen, denn zurzeit sieht alles danach aus, dass die Armee auch in den kommenden Monaten die Geschicke Ägyptens lenken wird. "Es ist unwahrscheinlich, dass innerhalb der nächsten sechs Monate oder innerhalb des nächsten Jahres das Militär von der Macht zurücktritt", sagt Oliver Schlumberger. "Die Frage ist, wie lange die Bevölkerung Geduld hat, weiterhin unter dieser Militärführung zu leben." Langfristig werden sich Armee und Volk jedenfalls im Wege stehen. Die Ausschreitungen am Wochenende sind ein Hinweis darauf.

Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Beate Hinrichs