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Wird in China für Organhandel ermordert?

6. August 2011

Ein kanadischer Anwalt will belegen können, dass China massenhaft Falun-Gong-Anhänger zwecks Organhandel ermorden lässt. Die Vorwürfe klingen so ungeheuerlich, dass sie in den Medien kaum aufgegriffen werden.

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In China ist illegaler Organhandel weit verbreitet (Foto: AP)
In China ist illegaler Organhandel weit verbreitetBild: AP

Im Büro des kanadischen Anwalts David Matas ging 2006 eine Anfrage ein. Eine Organisation, die der seit 1999 in China verbotenen Glaubensgemeinschaft Falun Gong nahesteht, bat ihn, dem Vorwurf nachzugehen, in China würden massenweise Falun-Gong-Anhänger vom Staat interniert und ermordet, um deren Organe zu verkaufen. Schon länger war bekannt, dass in China illegal mit den Organen von exekutierten Gefangenen gehandelt wird. Unstrittig war auch, dass der chinesische Staat Falun-Gong-Anhänger mit aller Stärke verfolgt. Die Vorwürfe gingen jedoch über das Bekannte hinaus: Der chinesische Staat töte weit mehr Menschen als die, die von der Justiz tatsächlich verurteilt wurden – einzig und allein zu dem Zweck, die Organe zu verkaufen. "Es gab ein kaum lösbares Beweisproblem", erinnert sich Matas. "Es gab keine Leichen, keinen Tatort, keine Zeugen und keine Dokumente."

Eine Geschichte, sonst nichts

Wenn die Vorwürfe stimmen sollten, dann müssten die Überrreste der Opfer verbrannt worden sein. Der Tatort wäre ein Operationssaal. Und Zeugen könnte es auch nicht geben, denn alle, die zum Tatzeitpunkt im Operationssaal gewesen wären, wären entweder Täter oder Opfer. "Ich wusste, dass die Menschenrechtsorganisationen, die ich kannte, dieses Problem nicht anpacken würden", sagt Matas. Er habe als Flüchtlingsanwalt häufig mit Menschen zu tun, die "eine Geschichte haben und sonst nichts".

Etwas aufzuklären, was sonst niemand aufklären würde, sei sein einziges Ziel gewesen, versichert Matas: "Ich dachte, hier kann ich einen Beitrag leisten." Eine Vorstellung davon, ob diese Vorwürfe stimmen oder nicht, habe er nicht gehabt. Matas ist ein korrekt gekleideter älterer Herr. Zum Interview in der Lobby eines Hotels in Berlin erscheint er in Anzug und Krawatte und mit großer ledernen Aktentasche, obwohl er nur kurz aus seinem Zimmer kommt und gleich anschließend wieder dorthin verschwindet. Er blickt düster und spricht sehr sachlich. Matas ist ein bekannter kanadischer Menschenrechtsanwalt. Er untersuchte für die Vereinten Nationen die Rolle des Rechtssystems im Holocaust und verteidigte zahlreiche Flüchtlinge vor kanadischen Gerichten.

Er begann gemeinsam mit dem ehemaligen kanadischen Staatssekretär David Kilgour, Informationen über Organtransplantationen in China zusammenzutragen. Sie werteten Aussagen von Falun-Gong-Anhängern aus, die in chinesischen Gefängnissen gesessen hatten und in Arbeitslagern waren. Sie ließen in chinesischen Krankenhäusern anrufen, um nach der Herkunft von Transplantationsorganen zu fragen. "Wir haben sowohl Indizien gesammelt, die die Anschuldigungen belegen, als auch solche, die dagegen sprechen", erklärt er. "Erst die Summe der Indizien erlaubt eine Schlussfolgerung". Die aber ist aus seiner Sicht eindeutig. Für ihn gebe es heute keinen Zweifel mehr, dass die Vorwürfe stimmen. Auch nach fünf Jahren, in denen sie weiteren Spuren nachgegangen seien, gebe es keine Anzeichen dafür, dass sie sich getäuscht hätten. Nur: Viel Gehör findet er mit seinem Bericht nicht.

Zweifel namhafter Menschenrechtler

Harry Wu, Gründer und Chef der Laogai Research Foundation. Foto: DW
Harry Wu, Gründer und Chef der Laogai Research FoundationBild: DW

Die chinesische Regierung weist die Vorwürfe empört zurück. Eine Lüge werde nicht wahrer, wenn man sie tausendmal wiederholt, hieß es in einer Mitteilung der chinesischen Botschaft in Kanada, wo Matas lebt und arbeitet. Doch auch in den internationalen Medien wurde nur sehr zurückhaltend über die Untersuchung berichtet. Stellungnahmen von namhaften Menschenrechtsorganisationen gibt es nicht. Einer der Gründe dafür mag sein, dass Falun Gong kurz vor dem Erscheinen des Berichts erklärt hatte, dass in einem "Konzentrationslager" in Nordostchina 6000 ihrer Anhänger interniert seien, um deren Organe zu entnehmen. 4000 Inhaftierte seien bereits getötet worden, 2000 stünden unmittelbar vor ihrer Ermordung. Daraufhin bat der Menschenrechtsaktivist Harry Wu, Leiter der Laogai-Stiftung in Washington, seine Kontaktpersonen im Land, sich das Krankenhaus näher anzusehen. Anhand ihrer Berichte und Fotos glaubt er behaupten zu können: "In diesem Krankenhaus können niemals 6000 Menschen interniert worden sein." Es gebe keinen Ort, wo man so viele Menschen gefangen halten kann. Und das Krankenhaus habe auch nicht die Kapazität, Organe zu transplantieren.

Harry Wu kennt sich mit dem Arbeitslagersystem in China bestens aus. In den neunziger Jahren sammelte er selbst Beweise dafür, dass die Volksrepublik mit den Organen von Hingerichteten handelt. Doch was die Vorwürfe von Matas und Kilgour angeht, bleibt er vorsichtig, auch wenn von besagtem Krankenhaus in dem Bericht gar nicht die Rede ist. "Sie haben viele Indizien zusammengetragen", erklärt er. Das meiste seien Aufzeichnungen von Telefongesprächen und eigene Schlussfolgerungen. "Das genügt noch nicht, um zu beweisen, dass diese Dinge tatsächlich stattgefunden haben."

David Matas reist derweil unermüdlich um die Welt, um die Menschen davon zu überzeugen, dass diese unglaublichen Anschuldigungen wahr sind, und hält Vorträge auf medizinischen Kongressen und vor Menschenrechtsgruppen. Einige Studien stützen seine Ergebnisse. Und ein britischer Journalist glaubt, Beweise dafür gefunden zu haben, dass auch anderen Verfolgten, etwa Tibetern, in China die Tötung zwecks Organentnahme droht. Endgültig geklärt werden können diese Vorwürfe nur mit handfesten Beweisen.

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Peter Stützle