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Protestserie macht Peking nervös

14. Juni 2011

Immer häufiger gibt es in China teils gewaltsame Demonstrationen. Die Regierung versucht, jeglichen Protest im Keim zu ersticken. Politische Reformen kommen für die Machthaber in Peking jedoch nicht in Frage.

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Aufmarsch chinesischer Polizisten (Foto: Yomiuri Shimbun/Shiomi Kadoya)
Mit staatlicher Härte werden Proteste bereits im Keim ersticktBild: Yomiuri Shimbun, Shiomi Kadoya/AP

Die Polizei in der südchinesischen Stadt Zengcheng musste am Wochenende mit einem Großaufgebot vorgehen, um die Proteste wütender Wanderarbeiter unter Kontrolle zu bringen. Bewaffnete Hundertschaften, gepanzerte Fahrzeuge und Tränengas setzten die Behörden gegen die Demonstranten ein. Der Protest hatte sich bereits am Freitagabend (10.06.2011) formiert. Chinesische Sicherheitsbeamte hatten die schwangere Arbeiterin Wang Lianmei im Vorort Dadun schikaniert. Nachdem Gerüchte die Runde machten, die 20-jährige Wang sei dabei verletzt und ihr Mann sogar getötet worden, kam es zu Ausschreitungen. Augenzeugen berichteten, mehr als 1000 Demonstranten seien beteiligt gewesen. Mehrere Regierungsfahrzeuge gingen in Flammen auf, Demonstranten zertrümmerten das Gebäude der örtlichen Regierung.

Chinesische Polizisten bewachen eine Straßenkreuzung (Foto: AP)
Gespenstische Ruhe nach den Unruhen dank massiver PolizeipräsenzBild: AP

Die Ausschreitungen in Zengcheng seien Ausdruck der wachsenden sozialen Probleme in China, erklärt der chinesische Journalist und Wirtschaftsexperte Guo Zhongxiao. “Das Entwicklungsniveau der so genannten Werkbank der Welt hat einen kritischen Punkt erreicht. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land verschärfen sich.“ Zudem würden die Einkommensunterschiede zwischen zugezogenen Arbeitskräften und den Einheimischen immer größer, sagt Guo. "Das führt zu unlösbaren gesellschaftlichen Problemen."

Ein Funke führt zur Explosion

In den vergangenen Wochen erlebte China eine ganze Reihe von teilweise gewaltsamen Antiregierungsprotesten. Erst vor wenigen Tagen gingen etwa 1500 Menschen in der zentralchinesischen Stadt Lichuan auf die Straße, nachdem ein Mann in Polizeigewahrsam ums Leben gekommen war. Am Wochenende waren zwei Menschen bei einer Bombenexplosion in Tianjin verletzt worden. Das Motiv des Täters war "Rache an der Gesellschaft". Ende Mai zündete ein Mann Sprengsätze vor Regierungsgebäuden in der südchinesischen Stadt Fuzhou und tötete dabei zwei Menschen und sich selbst. Offenbar war der Mann wütend, weil sein Haus abgerissen worden war. Mitte Mai demonstrierten in der Inneren Mongolei im Norden Chinas tausende Mongolen vor dem Gebäude der lokalen Regierung, nachdem ein mongolischer Nomade von einem Han-Chinesen überfahren worden war.

Eine uigurische Frau protestiert vor chinesischen Sicherheitskräften (Archivbild Juli 2009, Foto: AP)
Ethnische Minderheiten wie die Uiguren fühlen sich oftmals benachteiligtBild: AP

Ding Xueliang, Soziologieprofessor an der Hongkong University of Science and Technology ist überzeugt, dass sich der Zorn der Bürger immer stärker aufstaue. Häufig reiche dann schon ein kleiner Funke, um eine riesige Explosion auszulösen. Gesetzliche Möglichkeiten zum Protest bestünden nur auf dem Papier, kritisiert Ding. "Das Gesetz ist kein Mittel, mit dem der einfache Mann auf der Straße in China seine legitimen Interessen schützen kann und gegen Ungerechtigkeiten oder gegen Machtmissbrauch von Beamten demonstrieren kann", so der Sozialwissenschaftler.

Zahl der Proteste nimmt zu

Für Peking sind die zunehmenden Proteste besorgniserregend. Angesichts der Umbrüche in der Arabischen Welt zeigt sich die chinesische Führung gegenwärtig besonders wachsam gegenüber Unruhen. Zudem wird befürchtet, dass Gewalt in Export-Regionen Investoren verunsichern könnte. Laut jüngsten offiziellen Angaben zählte die staatliche "Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften" im Jahr 2006 landesweit etwa 60.000 Proteste. Im Jahr 2008 soll sich diese Zahl bereits mehr als verdoppelt haben. Das von den chinesischen Machthabern propagierte Konzept der "Harmonischen Gesellschaft" hat mit der Realität wenig gemein.

Chinesische Polizisten führen einen Mann ab, der seine Solidarität mit den Volksaufständen in der Arabischen Welt bekunden wollte (Foto: dapd)
Peking hat Angst vor dem Umbruch in der Arabischen WeltBild: dapd

Die Regierung reagiert auf die Proteste mit Zuckerbrot und Peitsche. Sie fährt ein immenses Kontingent an Sicherheitskräften auf, um Proteste bereits im Keim zu ersticken, notfalls auch mit Gewalt. Gleichzeitig entlässt sie vereinzelt lokale Beamte oder leistet bei besonders schweren Ungerechtigkeiten hin und wieder Entschädigungszahlungen.

Damit bekämpfe die Regierung jedoch nur die Symptome, nicht aber die Ursachen des Problems, meint Ding Xueliang. Von Reformen des politischen Systems wolle Peking nichts wissen, so der Sozialwissenschaftler. "Wenn China genauso großzügig ein modernes, demokratisches Gesellschaftssystem importieren würde, wie es moderne Technologie und Know-How importiert, dann wären der Zorn und der Widerstand der Bürger nicht so groß."

25 Personen festgenommen

Inzwischen sind die Proteste in Zengcheng nach Angaben staatlicher chinesischer Medien wieder abgeflaut. 25 Personen wurden festgenommen. Die lokale Regierung machte auf einer Pressekonferenz deutlich, dass die Verletzungen der jungen Wanderarbeiterin und der Tod ihres Ehemannes nur Gerüchte gewesen seien. Eine neu gegründete Spezialeinheit soll den Fall nun untersuchen. Sicherheitshalber stockte Peking aber die Sicherheitskräfte noch einmal massiv auf. Am Montag (14.06.2011) wurden mit Bussen Hunderte zusätzliche Polizisten in die Stadt gebracht.

Autor: Christoph Ricking

Redaktion: Alexander Freund