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Joschka und Herr Fischer

22. Mai 2011

Vom Revoluzzer zum deutschen Außenminister: Joschka Fischer. Der Regisseur Pepe Danquart hat sich auf die Spuren einer spannenden und außergewöhnlichen Politikerbiografie begeben.

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Filmplakat zum Film Joschka und Herr Fischer (Foto: X-Filme)
Bild: X Verleih

Der Filmemacher Pepe Danquart gewann 1994 den Oscar für seinen Kurzfilm "Schwarzfahrer" und überzeugte in den letzten Jahren vor allem durch seine Sporttrilogie: "Am Limit" (Bergsteigen), "Höllentour" (Radsport) und "Heimspiel" (Eishockey). In seinem neuesten Werk, das "Joschka und Herr Fischer" heißt, widmet er sich dem ehemaligen Bundesaußenminister.

Vielfacher Wandel

Das Amt verändert den Menschen, so heißt es. Und der ehemalige Außenminister Joschka Fischer war dafür ein besonders gutes Beispiel: Lange Zeit war er der beliebteste deutsche Politiker. Aber am Ende seiner Amtszeit konnte man ihn kaum noch ertragen, so bedeutungsschwanger trat er vor die Kameras, nach jedem Wort ein lang gezogenes Äh, als gelte es immer die Welt zu erklären. Nun also ein Dokumentarfilm über ihn. Das hätte schief gehen können, ist aber ein gelungenes Kinoabenteuer geworden. Das liegt zum einen an Fischer selbst, der eloquent, entspannt und geläutert vor der Kamera steht. Dass das so ist, liegt aber auch an Pepe Danquart, der lange darüber nachdachte, wie er einen Mann portraitieren könnte, der schon alles gesagt zu haben scheint, den alle längst zu kennen glauben.

Regisseur Danquart und J. Fischer auf der Leinwand (Foto: X Verleih/Nadja Klier)
Der Regisseur und sein "Hauptdarsteller" Joschka FischerBild: Nadja Klier

Danquart wählt einen außergewöhnlichen Zugang. Er führt Joschka Fischer in einen alten großen Raum, der wirkt wie eine Mischung aus Industriehalle und Museumssaal. Dort sind mehrere gläserne Leinwände aufgestellt, auf denen der Ex-Politiker in den nächsten 143 Minuten insgesamt 24 Filmfragmente aus seinem Leben sieht, darunter viel unbekanntes Filmmaterial: Fischer sieht Bilder aus seiner Heimatstadt Langenburg (Baden-Württemberg), erkennt den Pfarrer, sieht sich als Ministrant. Seine Eltern sind Ungarndeutsche. "Meine Eltern haben immer christdemokratisch gewählt. Katholisch, Heimatvertriebene. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Mutter mich jemals gewählt hat. Und entsprechen habe ich auch gedacht, politisch. Weil, ich so bin ich aufgewachsen. Was anderes kannte ich nicht."

Ausbruch aus der Provinz

Doch das soll sich ändern. Schon bald erdrückt ihn die Enge der Provinz. Das Gymnasium verlässt Joschka Fischer ohne Abschluss, eine Fotografenlehre bricht er ab und geht 1968 nach Frankfurt am Main, wo seine politische Laufbahn auf der Straße beginnt - bei Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg.

Joschka Fischer schaut auf Leinwand mit Bild von ihm (Foto: X Verleih/Nadja Klier)
Ex-Außenminister Fischer schaut auf Joschkas VergangenheitBild: Nadja Klier

Immer wieder hält Pepe Danquart in solchen Momenten inne, lässt Fischer zum Beispiel über Jimi Hendrix reden und dessen Interpretation der amerikanischen Nationalhymne, die wie ein Bombenangriff auf Vietnam klingt. Danquart: "Ich habe ihn in diesen filmischen Raum gestellt, weil das einfach andere Emotionen auslöst. Plötzlich sah er all diese Bilder, die ihn bewegten, die unsere ganze Generation bewegten. Der Vietnamkrieg, die Popkultur, die Jugendkultur mit den Beatles, Bob Dylan und Rock´n´Roll, selbst der Punk. All das hatte ja Einfluss auf sein politisches Denken und schlägt sich auch in seiner persönlichen Biografie nieder."

"Ihr gehört alle vergast!"

Vietnam und die Demonstrationen gegen den Krieg schärfen Fischers politisches Bewusstsein. Er, der lange dachte, dass "die Amerikaner immer die Guten waren", verändert seine Sicht. Und die Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf den Straßenprotest tun ihr Übriges: "'Geh doch nach drüben!' Das war die mildeste Form. 'Ihr gehört ins Arbeitslager!' war die mittlere Form. Und 'Ihr gehört alle vergast!' - und das kam sehr oft vor - war die schärfste Form."

Im Taxi zum Realisten

Fischer erinnert und kommentiert, fügt den Bildern Anekdoten hinzu und lächelt verschmitzt. Vor allem aber analysiert er, warum die Umstände so waren, wie sie waren. Manchmal ironisch, oft nachdenklich, immer aufschlussreich. So auch seine Zeit als Taxifahrer Anfang der 80er Jahre. "Das war eine gute Möglichkeit, nachts durch Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet zu streifen und über Vieles nachzudenken, ohne sich aktiv zu engagieren." Fischer hat es mit Betrunkenen zu tun, die sich in seinem Wagen übergeben, mit der Polizei, mit Krankenschwestern in der Notaufnahme und allem, "was die menschliche Existenz auch ausmacht". Es ist die Zeit, wie er bekennt, die ihn zum Realisten machen.

Joschka Fischer bei den Dreharbeiten (Foto: X Verleih/Nadja Klier)
Konfrontation mit dem eigenen Ich: "Joschka udn der Herr Fischer"Bild: Nadja Klier

1983 ist es Daniel Cohn-Bendit, der Joschka Fischer überzeugt, bei den Grünen einzutreten: "Wenn wir politisch was bewegen wollen, müssen wir eben, dieser Machtperspektive entgegen gehen. Und das waren die Grünen." Fischer geht dieser Perspektive eher widerwillig entgegen. Wird dann aber im selben Jahr für die Grünen in den Bundestag gewählt. Die parlamentarische Arbeit ist sein Zuhause. So ist er enttäuscht, als er zwei Jahre später seinen Platz wieder räumen muss.

Minister in Turnschuhen

1985 wird er in Hessen Umweltminister. Der erste Grünen-Minister überhaupt. Zur Vereidigung tritt er mit Turnschuhen an, die Bilder dazu erlangen Kultstatus. Wobei dies, wie Fischer erläutert, gar nicht seine Entscheidung war, sondern die der Partei. Ein symbolisches Zeichen für den Beginn einer neuen Zeit. Hinter den Türen seines Büros sitzt er dann wie ein Häufchen Elend. "Ich habe alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Ich wusste nicht, wie man regiert, hatte weder von den Inhalten noch von der Administration Ahnung. Ich kannte die Landespolitik nicht. Die Partei war mehrheitlich gegen mich. 'Hoechst' wollte meinetwegen Hessen verlassen. Dann kam auch noch Tschernobyl. Ich war fix und fertig." Es ist die schlimmste Zeit seiner Laufbahn, aber auch die lehrreichste. Denn nun weiß Fischer, wie Politik im mühsamen Alltag umgesetzt wird.

Pepe Danquart bei den Dreharbeiten (Foto: X Verleih/Nadja Klier)
Dokumentarfilmregisseur Pepe Danquart bei der Arbeit zu "Joschka und Herr Fischer"Bild: Nadja Klier

Es sind einfach großartige Momente des Films: Unverblümt spricht Fischer über seine Schwächen, zeigt, mit welcher Naivität viele Grüne Parteimitglieder von ihm Entscheidungen verlangten, die er juristisch gar nicht fällen konnte... Mit großer Hingabe stürzt er sich auf die parlamentarische Arbeit, die er genießt, während er symbolische Akte eher erduldet. Wenn seine Parteifreunde Helmut Kohl nach der Vereidigung zum Bundeskanzler mit Tannenzweigen zu mehr Umweltbewusstsein ermuntern, ist ihm das peinlich, ebenso wenn er aus Parteiräson mit einem Baum in der Hand an einer Demonstration "teilnehmen muss".

Schwierige Entscheidung

Ähnliches gilt dann für die Machtübernahme im Bund. Als Fischer 1998 die erste rot-grüne Bundesregierung mit Gerhard Schröder bildet, sieht er die schwerste Entscheidung seines Lebens vor sich: Der Jugoslawien-Krieg mit Vertreibungen und Massenmord muss, so sieht er es, durch die NATO militärisch beendet werden. Und während Schröder und die anderen für das erste historische Wahlsiegerfoto strahlend posieren, steht Fischer mitten unter ihnen mit betretener Miene. "Ich sah die Kriegsentscheidung auf uns zukommen. Ich wusste noch nicht, wie meine Partei das aushalten soll. Ich war voller Sorgen und mein Kopf war voll mit dem, was kommt. Und nicht: Hurra, wir haben es geschafft!"

Ein Land wurde erwachsen

"Joschka und Herr Fischer" handelt nicht in erster Linie von Joschka Fischer selbst, sondern genau genommen von der 68er-Generation: Einer Generation, die ihre Wut zuerst auf die Straße trug, dann kanalisierte, gesellschaftliche Ideale formulierte und maßgeblich dazu beitrug, dass Deutschland erwachsen wurde. Ein großartiger Film.

Autor: Bernd Sobolla

Redaktion: Jochen Kürten