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Bad Boy Kummer

6. Mai 2011

Der Journalist Tom Kummer narrte vor ein paar Jahren eine ganze Branche. Er erfand Interviews mit Hollywood-Prominenz und verkaufte sie an deutsche Zeitschriften. Was steckt hinter dem "Fall Kummer"?

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Szene aus dem Film Bad Boy Kummer (Foto: Columbus Film)
Abgehoben: Tom Kummer beim FrühsportBild: kummer-film.ch

Er hat sie alle gehabt in Hollywood, Sharon Stone und Brad Pitt, Sean Penn und Quentin Tarantino, dazu Sportgrößen wie den Boxer Mike Tyson. Der Journalist Tom Kummer versorgte Ende der 1990er Jahre deutsche Hochglanzmagazine und große Tageszeitungen reihenweise mit Promi-Exklusivinterviews. Die Presseorgane rissen sich damals um die Gespräche. Chefredakteure, die nicht von Kummer beliefert wurden, gerieten ins Hintertreffen. Tom Kummer gehörte für einige Jahre zu den am meisten umworbenen deutschsprachigen Journalisten in Amerika.

Schlichtweg erfunden

Doch irgendwann kam man ihm auf die Schliche. Im Frühjahr 2000 platzte die Bombe. Kummer wurde als Fälscher entlarvt. Die Interviews waren nicht etwa aufgepeppt, nicht "gestreckt" oder angereichert worden, sie waren schlichtweg erfunden. Das hatte Konsequenzen. Nicht nur für Tom Kummer, dessen journalistische Karriere abrupt endete. Auch einige führende Redaktionsköpfe in der deutschen Presselandschaft rollten. Das Entsetzen war groß. Wie konnte es einem Journalisten gelingen über einen derart langen Zeitraum die deutschen Medienlandschaft zu düpieren, die Leser mit erfundenen Interviews zu narren?

Tom Kummer (Foto: Hermann Wöstmann dpa)
Tom KummerBild: picture-alliance/dpa

Kummers Schweizer Landsmann, der Journalist und Regisseur Miklós Gimes, hat über den Fall Kummer einen spannenden und aufschlussreichen Dokumentarfilm gedreht: "Bad Boy Kummer". Schon der Titel deutet an, dass es hier um mehr geht als nur um einen "cleveren", abgebrühten Betrüger, der eine ganze Branche hinters Licht führte.

Wenig schuldbewusst

Sicher, der Film konzentriert sich vor allem auf die Person Tom Kummer. Gimes hat den heute als Tennislehrer arbeitenden Ex-Journalisten an dessen Wohnort in Los Angeles besucht und zahlreiche Gespräche mit ihm geführt. Der zeigt sich wenig schuldbewusst, spricht von dankbaren Abnehmern in Deutschland, weist die alleinige Verantwortung recht dreist von sich. Kummer erscheint vor der Kamera als eigentümliche Mischung aus Münchhausen und berühmten Fälschern jüngeren Datums, erinnert etwa an Konrad Kujau, der die Welt mit Hitler-Tagebüchern narrte.

Szene aus dem Film Bad Boy Kummer (Foto: Columbus Film)
Arbeitet heute als Tennislehrer: Tom Kummer im FilmBild: kummer-film.ch

Mit seinen hilflosen Ausflüchten, den zwischen Naivität und Unverfrorenheit wechselnden Verteidigungsreden erinnert Kummer aber auch phasenweise an andere Fälle dreisten Textdiebstahls aus der jüngsten Zeit. An die junge Autorin Helene Hegemann, die im vergangenen Jahr mit einem zusammengeklaubten Erfahrungsbericht aus der Berliner Nachtszene Aufsehen erregte. Auch an den zurückgetretenen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Doktorarbeit sich als dreistes Plagiat erwies, der heute aber nach wie vor behauptet, dies nicht mit Vorsatz getan zu haben.

Schwerer Realitätsverlust

Fälscher wie Tom Kummer und andere - das lehrt der Film "Bad Boy Kummer" unter anderem - haben längst den Boden der Wirklichkeit verlassen und scheinen auch nach der Aufdeckung nicht mehr in der Lage zu sein zu bewerten, was falsch und richtig ist, wo die harmlose Posse, das Spiel mit fremden Texten aufhört und Betrug und Ideendiebstahl anfängt. Erklären lässt sich dies nur mit einer Strategie, die vordergründig dem Schutz der eigenen Persönlichkeit dienen mag. Im Grunde genommen speist sich ein solches Verhalten aber wohl aus einem schweren Realitätsverlust.

Szene aus dem Film Bad Boy Kummer (Foto: Columbus Film)
Selten einsichtig, aber irgendwie auch sympathisch: Tom Kummer heuteBild: kummer-film.ch



Von Interesse ist der Film "Bad Boy Kummer" aber noch aus einem anderen Grund. Die gefälschten Interviews konnten über einen so langen Zeitraum natürlich nur deshalb abgesetzt werden, weil auf der anderen Seite - also bei den Magazinen und Zeitschriften - die Sucht nach Promis so groß war, dass jegliche kritische Distanz zum Produkt verloren ging. Und da weist der Film über einen der größten Presseskandale der jüngsten Zeit weit über den Fall Kummer hinaus.

Die Sucht nach Promis...

Stellungnahmen von Prominenten, Interviews mit Schauspielern und anderen Personen des öffentlichen Lebens werden heute von nahezu allen Medien geradezu süchtig gedruckt, gesendet und ausgestrahlt - und seien diese noch so beliebig und nichtssagend. Natürlich hat daran auch die Aufdeckung dieses Falls nichts geändert. Ein paar der zuständigen leitenden Redakteure, die nach Kummers Abschied ebenfalls ihre Posten aufgeben mussten, sind längst wieder bei der Konkurrenz in führenden Positionen untergekommen. Im Film "Bad Boy Kummer" wollten sie zu den Vorgängen im Übrigen nicht Stellung nehmen. Auch das sagt einiges aus.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Gudrun Stegen