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Sayed Kashua: Pendler zwischen den Welten

29. März 2011

Sayed Kashua sitzt zwischen den Stühlen. Er ist Araber, schreibt aber seine Bücher auf Hebräisch. Sein neuer Roman "Zweite Person Singular" ist eine Mischung aus Satire und Melodram. Eine Begegnung.

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Sayed Kashua ist arabisch israelischer Schriftsteller aus Israel
Sayed KashuaBild: Berlin Verlag

Viel Zeit für Interviews hat Sayed Kashua nicht. Nur fünf Minuten - nach seiner Lesung auf dem Internationalen Literaturfest lit.COLOGNE in Köln. Auf einer Bühne begrüßt der 35-Jährige im schwarzgrauen Anzug und mit einem anhaltenden Lächeln auf den Lippen das Publikum. "Ich habe einen leichten arabischen Akzent, wenn ich Hebräisch spreche, also bitte erschreckt euch nicht", ruft Sayed Kashua ins Publikum. Dann liest er einige Passagen aus seinem neuen Roman auf Hebräisch vor. Immer wieder legt er eine Pause ein und erzählt aus seinem Leben und über die Identitätsprobleme der in Israel lebenden Araber.

Nach seinem Debütroman "Die tanzenden Araber" und seinem zweiten Buch "Da ward es morgen" erzählt Sayed Kashua in seinem neuen Roman die Geschichte zweier arabischer Israelis, die mit ihren Identitäten ringen und sich nichts sehnlicher wünschen, als ein Teil der jüdischen Gesellschaft zu werden. Ein Problem, das Sayed Kashua aus seinem eigenen Leben kennt. Sein fünfjähriger Sohn und seine neunjährige Tochter fragen ihn zum Beispiel, ob sie Araber oder Israelis seien. "Genau wie meine Kinder, versuchen meine beiden Protagonisten in der Mehrheitskultur der israelischen Gesellschaft eine Position zu finden. Dabei streben sie nach einer neuen Identität."

Sayed Kashua schreibt in seinem Roman "Zweite Person Singular" über die arabisch-israelische Gesellschaft.
Roman über die arabisch-israelische Gesellschaft

Auf der Suche nach einer Identität

"Zweite Person Singular" bedeutet im Hebräischen auch zweiter Körper. Die erste Person Singular im Roman ist Amir, ein Sozialarbeiter in Westjerusalem. Amir pflegt den im Koma liegenden 19-jährigen Jonathan. "So zu sein wie sie", wie die Juden, das ist sein sehnlichster Wunsch. Als arabischer Israeli fühlt sich Amir von der israelischen Gesellschaft nicht anerkannt. Während seiner Geschichte schlüpft er allmählich in eine andere Identität. Er übernimmt den zweiten Körper Singular.

Der andere Protagonist ist ein Rechtsanwalt. Er erzählt in der dritten Person Singular. Sein Leben ist äußerlich von Erfolg gekrönt, aber in Wirklichkeit versucht er seiner arabischen Vergangenheit durch Whisky, Sushi, teure Kleider und schnelle Autos zu entkommen. Der Anwalt, der sich jedes Statussymbol leisten kann, verdächtigt seine Frau fremd zu gehen und er ist fest entschlossen, die Affäre auffliegen zu lassen. Der Rechtsanwalt, sagt Sayed Kashua, sei sein Lieblingscharakter. "Er ertränkt sich so tief in seiner wilden, paranoiden Eifersucht und er will einfach nicht aufgeben. Das gefällt mir", lacht er.

Die Liebe zur hebräischen Literatur

Einen Araber, der Romane auf Hebräisch schreibt, findet man selten. Der Palästinenser Anton Shammas veröffentlichte 1986 den Roman "Arabesken" auf Hebräisch. Kashua ist der erste israelische Araber nach Shammes, der auf Hebräisch schreibt und es in die Bestsellerlisten schafft. Die Sprache spiele für ihn eine große Rolle, sagt Sayed Kashua. Dass er sich für Hebräisch entschieden hat, habe mehrere Gründe für ihn gehabt, erzählt er. Als er anfing zu schreiben, habe es für ihn nur die hebräische Sprache gegeben. "Ich bin mit 15 Jahren auf ein Internat gekommen, und habe dort zum ersten Mal eine Bibliothek gesehen." Die Menge an hebräischen Büchern habe ihn zum Schreiben motiviert. In seiner Heimatstadt Tira gebe es bis heute keine Bibliothek, erzählt er. Bücher, die er lieben gelernt habe, waren auf Hebräisch oder Englisch geschrieben. "In dieser Sprache fühle ich mich wohl. Vielleicht war es auch der Wunsch zur Mehrheit zu gehören, als ich als Teenager in Israel ins jüdische Internat gegangen bin."

Sayed Kashua stellt im Rahmen der lit.COLOGNE sein neues Buch vor.
Sayed Kashua stellt im Rahmen der lit.COLOGNE sein neues Buch vorBild: DW

Stereotypen mit feiner Ironie

Manchmal tue es gut, Abstand zu seiner Muttersprache zu nehmen. Das gebe eine gewisse Freiheit. Die Geschichte "Zweite Person Singular" hat viele autobiographische Bezüge. Der Rechtsanwalt, der anfängt Literaturklassiker zu kaufen, um sich über seine arabische Herkunft hinwegzusetzen, ist ein Teil von Sayeds Erinnerungen an seine Kindheit, als er im Internat als arabischer Junge immer das Gefühl hatte, er sei weniger schlau und gebildet als die jüdischen Kinder. Sayed möchte mit diesem Buch den arabischen und jüdischen Lesern einen Spiegel vorhalten, um die Kluft zwischen den Kulturen zu überbrücken.

Neben seiner Schriftstellertätigkeit schreibt Sayed Kashua jede Woche eine witzige, aber auch melancholische Kolumne für die israelische Tageszeitung Haaretz. Außerdem arbeitet er als Filmkritiker und Kolumnist der in Tel Aviv erscheinenden Wochenzeitung Ha’lr. Und er ist Drehbuchautor der israelischen Kult-Sitcom "Avoda Aravit" (arabische Arbeit), in der er das Zusammenleben von Juden und Arabern zum Thema macht. Dafür erhielt er die Auszeichnung "Freedom of Expression" (Die Freiheit künstlerischen Ausdrucks). Anfangs wurde die Sitcom von den Arabern kritisiert, weil sie arabische Stereotype aufs Korn nimmt. Wie in seinen Romanen zeigt Kashua auch in der Sitcom, wie schmal der Grat ist zwischen dem Wunsch, sich anzupassen und der Gefahr, die eigene Kultur zu verdrängen.

Autorin: Irem Özgökceler
Redaktion: Sabine Oelze

Sayed Kashua (Roman Aus dem Hebräischen von Miriam Pressler): "Zweite Person Singular", Berlin Verlag 350 Seiten, ISBN-13: 9783827010131, 22,00 Euro Erscheinungstermin: 9. April 2011