1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Katastrophen-Kino holt Japan ein

21. März 2011

Godzilla ist ein nationaler Alptraum. Das Monster verkörpert die Angst der Japaner vor Atomexperimenten. In japanischen Filmen wird generell nicht an Horrorvisionen gespart. Manches wirkt heute erschreckend real.

https://p.dw.com/p/RAXa
Frau mit Gasmaske vor Skyline (Foto: fotolia)
Bild: fotolia

1998 erreichte Godzilla New York und verwüstete die US-Metropole. Doch die Hollywood-Version des Films, die der deutsche Regisseur Roland Emmerich verantwortete, hatte nicht mehr viel mit dem japanischen Original von 1954 zu tun. Fast ein halbes Jahrhundert zuvor hatte die Urversion von Godzilla erstmals die japanischen Leinwände betreten. Das Monster, eine Mischung aus Riesenaffe, Echse und Fischwesen, hatte, der Filmlegende zufolge, zuvor viele Millionen Jahre schlafend im Meer verbracht, bevor Menschen es durch Experimente mit Atomkraft zum Leben erweckten..

Szene aus Godzilla von 1954 (Foto: AP Photo)
Ur-Godzilla aus JapanBild: AP

Godzilla stieg an Land und zertrampelte und zerstörte so ziemlich alles, was sich ihm in den Weg stellte. Das Monster wurde zum Schrecken der Japaner, zum Ausdruck der Angst vor der Kraft des Atoms - allerdings verbanden Filmproduzenten und Zuschauer diese Horrorvisionen fast ausschließlich mit der Atombombe und den Atombombenversuche. Die amerikanischen Tests von 1954 im Pazifik hatten die Godzilla-Filmwelle maßgeblich mit ausgelöst. Schon damals aber galt: die Bombe und die Tests sowie die friedliche Nutzung der Atomkraft wurden in Japan kaum miteinander in Verbindung gebracht.

Godzilla – mal Freund, mal Feind

Insofern sind alle derzeitigen Deutungsversuche, die japanische Populärkultur (insbesondere das Kino) als eindeutige und eindimensionale Vorwegnahme der Katastrophe von Fukushima zu interpretieren, mit Vorsicht zu genießen. Das Monster Godzilla verwandelte sich im Laufe seiner Filmkarriere sogar zwischenzeitlich zum Freund der Menschen und rettete einmal sogar die Erde. Erst in den letzten Godzilla-Filmen wurde es wieder als Bedrohung eingesetzt. In "Godzilla - Die Rückkehr des Monsters" zerstört Godzilla einen Reaktor und nimmt dessen Energie auf. Die US-Version von 1998 lud die Geschichte dann mit weiteren aktuellen Bezügen auf: Dort spielt ein Wissenschaftler eine Rolle, der mutierte Regenwürmer in Tschernobyl untersucht.

Szene aus dem Film Godzilla x Mecha-Godzilla (Foto: AP Photo/Tsugufumi Matsumoto)
Kampf der Giganten: Godzilla trifft einen Über-GodzillaBild: AP

Schaut man auf das breit angelegte japanische Populärkino, ist man verblüfft, wie weitreichend und detailgetreu die verschiedensten Katastrophen vom Kino vorweggenommen wurden. In den japanischen Studios werden seit Jahrzehnten sämtliche denkbare Horrorszenarien durchdekliniert: Erdbeben und Tsunamis, Feuerstürme, zerstörte Großstädte und versinkende Inseln. 1973 entstand der Film "Der Untergang Japans", bei dem Erdbeben und Vulkanausbrüche mehr oder weniger alle Einwohner des Landes töten. Filme wie "Erdbeben - Flammendes Inferno in Tokio" (1980), "Weltkatastrophe 1999? - Die Prophezeiung des Nostradamus" (1999) und "Sinking of Japan" (2006) haben gezeigt, dass Regisseure und Produzenten kaum eine denkbare Horrorvorstellung ausgelassen haben. Die Apokalypse, sie hatte im japanischen Kino der letzten Jahrzehnte einen Stammplatz.

Katastrophen – mal anspruchsvoll, mal billig

Auch Hollywood hat schon von Anfang an seine Angst vor Katastrophen auf die Leinwand gebracht. Der 1936 entstandene Film "San Francisco" thematisierte ganz konkret das große Beben von 1906. Dass sich ausgerechnet Hollywood auf einem Erdbebengebiet eingerichtet hatte, das war der amerikanischen Filmmetropole immer bewusst. Und doch scheint es, als ob das Gefühl der vielen Millionen Japaner, die dichtgedrängt auf einer vom Meer umgebenen Insel leben, die Beschäftigung mit der Bedrohung durch die Natur noch intensiver hat werden lassen. Die Kraft der ungebändigten Natur wurde immer wieder thematisiert. Die Angst der Menschen hat sich so in den Visionen der Filmschaffenden widergespiegelt.

Szene aus Godzilla versus Das Ding von 1964 (Foto: Mary Evans Picture Library)
Die Katastrophen erzeugen immer neue MonsterBild: picture-alliance/Mary Evans Pi/Ronald Grant Archive / Mary Evan

Godzilla und Co. wurden vor allem in den kommerziell orientierten B-Studios hergestellt, die Filme wurden mit vielen Specialeffects geschaffen und zielten auf billige Unterhaltung und große Zuschauermassen. Möglicherweise haben solche Filme auch einen positiven Effekt: "Sie zeigen einen im Grunde gesunden Umgang mit der Katastrophe. Kultur ist auch immer die Bewältigung durch das Ausleben von Phantasien" (Rüdiger Suchsland). Doch auch viele anspruchsvolle Autorenfilmer des Landes haben sich dem Thema zugewandt.

Der in Japan ungeheuer populäre Meister des Animationsfilms, Hayao Miyazaki, entwarf 1984 im Film "Nausicäa - Aus dem Tal der Winde" ein Schreckensszenario: die Welt ist derart verseucht, dass ein Überleben der Menschheit nur mit Mühen zu bewältigen ist. Im neuesten Miyazaki-Film "Ponyo - Das große Abenteuer am Meer", der gerade noch in den deutschen Kinos lief, haben Wasserwesen und Riesenwellen gleichberechtigte Rollen neben den menschlichen Darstellern.

Zuvor hatten Filmemacher - wie Hiroshi Teshigahara 1964 im Film "Die Frau in den Dünen" - die anonyme Kraft der Natur beschworen. Akira Kurosawa ("Ein Leben in Furcht", 1955: Angst vor dem Atomkrieg, und: "Dreams", 1990: ein explodierendes Atomkraftwerk) und Shōhei Imamura ("Schwarzer Regen", 1989, Folgen der Atombombenverstrahlung) hatten sich mit der Nuklearthematik befasst. Unterm Strich bleibt: Kaum eine Kinonation der Welt hat sich derart intensiv und oft mit Katastrophenszenarien beschäftigt - aus den verschiedensten Motiven heraus, zugeschnitten auf die unterschiedlichsten Publikumsschichten.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Marlis Schaum