Noten aus der Vergangenheit
15. März 2011Paul Kletzki ist einer der zehn "verlorenen Komponisten", mit denen sich das Projekt in Texas beschäftigt. Er wurde 1900 im polnischen Lodz geboren und entwickelte sich schnell zum Star der deutschen Musikszene. In Weimar feierte er Erfolge, schrieb Symphonien und Klavierkonzerte. Der Komponist und Dirigent Wilhelm Furtwängler, sagt der Musikwissenschaftler Timothy Jackson, habe viel von Kletzki gehalten. Doch Paul Kletzki war Jude. Und jüdische Komponisten wurden von den Nazis geächtet, ganz gleich, welcher Musikrichtung sie angehörten.
Verstummt angesichts des Holocaust
"Als Paul Kletzki gerade seinen großen Durchbruch erlebte", sagt Jackson, "kam Hitler an die Macht und Kletzki wurde klar, dass seine Zukunft zerstört war." Kletzki flüchtete zunächst nach Italien, dann nach Russland und schließlich in die Schweiz. Angesichts der Gräueltaten, die die Nazis an den Juden verübten, und denen auch seine Eltern und seine Schwester schließlich zum Opfer fielen, hörte er 1942 auf zu komponieren." Aus dem Komponisten wurde ein Dirigent, der seine Notenblätter in einer Kiste vergrub. Als diese Kiste 1964 wieder entdeckt wurde, brachte er es nicht über sich, sie zu öffnen. Erst nach Kletzkis Tod 1973 stellte seine Witwe Yvonne fest, dass seine Werk darin alle erhalten geblieben waren. Yvonne Kletzki hat die Unterlagen Timothy Jackson gegeben. Inzwischen gibt es einige von Kletzkis Werken als CD zu kaufen. Die letzte Aufnahme mit seinen Klavierkonzerten war sogar in diesem Jahr für einen Grammy nominiert.
Den Vergessenen eine zweite Chance geben
Projekte wie das von Timothy Jackson gibt es weltweit viele, erklärt Bret Werb, der für Musik zuständige Kurator des Holocaust-Museums in Washington. Durch das Internet ist der Informationsaustausch reger und einfacher geworden, es gelangen noch immer unbekannte Informationen über Komponisten ans Tageslicht. "Ein Großteil dieser Musik wäre vermutlich so oder so in Vergessenheit geraten," so Werb, "aber es ist unsere Aufgabe, jenen eine zweite Chance zu verschaffen, die vielleicht unfair behandelt worden sind." Timothy Jackson hat Anfang der 90er Jahre mit seinem Projekt begonnen. Damals forschte er nach Zeitgenossen des berühmten Wiener Musiktheoretikers Heinrich Schenker und stieß so auf Reinhard Oppel, einen Kollegen Schenkers, der an der Universität von Kiel unterrichtete.
Die Noten im Garten vergraben
Der Pfarrer Kurt Oppel, Reinhard Oppels Sohn, lebt heute in der Nähe von Heidelberg. Der rüstige 80jährige erinnert sich: "Mein Vater war ein ungewöhnlich imposanter, interessanter Mann, er konnte sehr charmant sein, er konnte aber auch sehr jähzornig sein." Ein Vollblutmusiker sei er gewesen, der schon mit sechs Jahren, vor der Schule, Orgel gespielt habe und mit 60 Jahren noch Posaune lernte. Von den Nazis und von Hitler habe sein Vater nicht viel gehalten, sagt Kurt Oppel, und daraus auch keinen Hehl gemacht. Die Schikane ließ nicht auf sich warten. Noch im Alter von 62 Jahren, schwer herzkrank, musste Reinhard Oppel eine Musterung zur Wehrmacht über sich ergehen lassen. Er starb 1941. Sein Sohn Kurt ging nach dem Krieg in den Westen. Die Werke seines Vaters blieben bei Freunden in einem Gartenhaus, wo "ein Teil in Margarinekartons aufgestapelt und zum Teil vergraben wurde“, erzählt Kurt Oppel.
Motiviert von der eigenen Familiengeschichte
Dem Musikwissenschaftler Jackson geht es in dem Projekt auch um seine eigene Familiengeschichte. Jacksons Mutter war Künstlerin, die im Schatten des Holocaust aufgewachsen ist. Timothy Jackson hofft, dass er vielleicht noch auf weitere "verlorene Komponisten" stößt. Viel hängt vom Zufall ab – und von Familienmitgliedern, die das Vermächtnis ihrer Vorfahren wieder ans Licht bringen wollen. Jackson hofft, dass er noch die Musik vieler anderer Komponisten ausgraben kann. Kurator Bret Werb erklärt: "Und wir hoffen, dass ihre Musik nicht im Zusammenhang von verbotener Kunst, Komponisten im Exil oder Holocaust-Musik aufgeführt wird, sondern einfach als Musik."
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Gudrun Stegen