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Von Forschern und Fälschern

1. Oktober 2002

Wie ist es eigentlich möglich, dass Naturwissenschaftler jedes Jahr Dutzende bahnbrechende Ergebnisse ihres Tuns veröffentlichen können? Ohne illegale "Nachhilfe" geht es offenbar nicht - wie verschiedene Fälle zeigen.

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Auch in der Forschung gibt es schwarze SchafeBild: AP/Bayer

Jan Hendrik Schön stand ganz oben. Der in Expertenkreisen als Nobelpreis-Anwärter geltende junge deutsche Physiker hatte in den angesehenen "Bell Labs" das elektronische Verhalten organischer Strukturen erforscht, die als Grundlage künftiger Transistoren gelten. Anfang dieses Jahres begann sein Abstieg aus der Oberliga der Wissenschaft: In den Fachmagazinen "Nature" und "Science" veröffentlichte Schön zwei verschiedene Untersuchungen, die beide das gleiche Diagramm mit unterschiedlicher Beschriftung enthielten. Daraufhin setzten Schöns Arbeitgeber eine Untersuchungskommission ein.

Schon Galileo hat gemogelt

Nach Angaben dieser Kommission unter Leitung des Forschers Malcolm Beasley von der Stanford University soll Schön von 1998 bis 2001 in mindestens 16 Fällen Daten manipuliert oder falsch dargestellt haben. Das bedeutet das Ende einer steilen Karriere. "Wir sind zutiefst enttäuscht, dass ein solcher Fall wissenschaftlichen Fehlverhaltens in den "Bell Labs" passiert ist - zum ersten Mal in unserer 77-jährigen Geschichte", erklärte "Bell Labs"-Präsident Bill O'Shea. "Ich muss eingestehen, bei meiner wissenschaftlichen Arbeit verschiedene Fehler gemacht zu haben, die ich zutiefst bedauere", gab Schön in einer Stellungnahme zum Untersuchungsbericht zu.

Schöns Fehlverhalten ist kein Einzelfall in der Geschichte der Wissenschaft. So sollen schon Galileo Galilei und Gregor Mendel bei ihren Experimenten kräftig geschummelt haben. Der bisher größte Fälschungsskandal in der deutschen Medizinwissenschaft wurde 1997 aufgedeckt. Die Professoren Friedhelm Hermann und Marion Brach, beide in der Krebsforschung tätig, hatten über Jahre hinweg Abbildungen und Tabellen erfunden und vorhandenes Datenmaterial manipuliert.

Weiße Mäuse

Der erste berühmte Betrugsfall in den USA war besonders kurios. Der Immunologe William Summerlin hatte 1974 behauptet, Fremdgewebe durch eine bestimmte Behandlung so verändert zu haben, dass es vom Empfängerorganismus nicht abgestoßen wird. Dies demonstrierte er mit weißen Mäusen, denen er Haut- und Fellflecken einer dunkel gefärbten Art implantiert haben wollte. Zwei Jahre später stellte sich heraus, dass der Krebsforscher lediglich einer weißen Maus mit Filzstift schwarze Punkte auf das Fell gemalt hatte.

Doch warum manipulieren angesehene Forscher ihre Untersuchungen, wo es doch so etwas wie einen "Ehrenkodex der Wissenschaft" geben sollte? Franz Miller, Pressesprecher der Fraunhofer-Gesellschaft, sieht den zunehmenden Konkurrenzkampf um Anerkennung und Forschungsgelder als einen Hauptgrund. "Es gibt heute einen großen Druck, viel publizieren zu müssen, um eine wissenschaftliche Karriere zu machen," so Miller im Gespräch mit DW-WORLD. Die Gefahr der Fälschung sei vor allem bei der Grundlagenforschung groß, da bei der angewandten Forschung die Ergebnisse auf wirtschaftliche Anwendungen übertragbar sein müssten.

"Weniger ist Mehr"

Dr. Eva Maria Streier, Sprecherin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sieht einen Grund ebenfalls im Wissenschaftsbetrieb. "Die Zahl der Veröffentlichungen spielen leider immer noch eine große Rolle für das Renommee eines Forschers. Es sollte jedoch gelten: Weniger ist Mehr", gibt sie im Gespräch mit DW-WORLD zu bedenken. Streier stellt heraus, dass es neben wenigen Betrügern wie Schön Tausende von Physikern gäbe, die korrekt arbeiteten.

Die Kontrollen in Deutschland hält sie für ausreichend. "Alle Wissenschaftler, die von der DFG gefördert werden, werden von Gutachtern mehrmals überprüft", so Streier. In Universitäten gäbe es zudem Selbskontrollmechanismen, Kollegen würden sich gegenseitig auf die Finger schauen. 1997 stellte die DFG sechzehn Empfehlungen zur "Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis" zusammen. (lh)