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Die "Tigermutter" - Erziehung auf Chinesisch

28. Januar 2011

Wie erzieht man Kinder richtig? In China gibt es da sehr klare Vorstellungen: mit Drill und Disziplin. Ein Buch aus den USA hat jetzt eine heftige Debatte ausgelöst - über westliche und chinesische Erziehungsmethoden.

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Chinesisches Mädchen in der Schule (Foto: MICHAEL REYNOLDS/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Autorin Amy Chua gehört zu den Immigranten der zweiten Generation in den USA, ihre Eltern waren chinesische Einwanderer. Chua selbst ist im Bundesstaat Illinois geboren, hat nach dem Jurastudium Karriere gemacht. Die Yale-Professorin hat in ihrem jüngsten Buch die mehr als provokative These aufgestellt, dass nur die strenge Erziehungsmethode nach chinesischem Vorbild Kinder auf den Weg zum Erfolg vorbereite.

Kaum war Amy Chuas Essay über ihr neues Buch und die von ihr gepriesene Null-Toleranz-Erziehungspraxis in der US-Tageszeitung "Wall Street Journal" erschienen, löste er landesweit heftige Diskussionen über chinesische und westliche Erziehungsmethoden aus. Fast alle großen amerikanischen Zeitungen brachten das Thema auf ihre Titelseite. Chuas Thesen spalten die Nation. Die einen halten sie für völlig verrückt, die anderen sind der Meinung, dass die selbsternannte Tigermutter durchaus in mancher Hinsicht Recht habe.

Ohne Fleiß kein Preis

Amy Chua (AP Photo/(CC) Larry D. Moore)
Amy ChuaBild: AP

Ist die chinesische Erziehungsmethode generell so streng wie gemeinhin angenommen? Mit einem klaren "Ja" antwortet Li Junhe, Starmoderator beim chinesischen Staatssender "China Education TV" und Redakteur eines chinesischen Bildungsjournals. Er weist auf die kulturelle Tradition Chinas hin: "Alte Sprichwörter wie 'Nur strenge Lehrer bilden Eliteschüler aus' oder 'Mit Knüppel und Peitschen lernen die Kinder Disziplin' werden heute noch in China weitgehend akzeptiert."

Der 64-jährige pensionierte Englischlehrer und zweifache Vater sieht die erzieherische Härte auch in der Realität der chinesischen Gesellschaft begründet: "In einem bevölkerungsreichen Land wie China ist die Konkurrenz sehr groß. Auswahlverfahren bestehen meistens aus Prüfungen, da ist in der Regel nicht Kreativität gefragt, sondern eiserner Fleiß." Er selbst findet das nicht unbedingt immer ideal, aber so sei es nun einmal.

Amy Chua beschreibt in ihrem Buch ihre eigene strenge Erziehungsmethode. Sie verbot ihren beiden Töchtern so ziemlich alles, was für viele Kinder und Eltern ganz normal ist. Es gab keine Computerspiele, sie durften nicht bei Freunden übernachten und auch nicht im Schultheater mitspielen. Einmal drohte Amy Chua ihrer Tochter mit der Verbrennung ihrer Stofftiere, wenn sie ein Klavierstück nicht perfekt beherrsche.

Selbständige Entwicklung

Buchcover der deutschen Übersetzung des Buches von Amy Chua: 'Die Mutter des Erfolgs' (Foto: Verlag Nagel & Kimche)
Bild: Nagel & Kimche

Diese so genannte chinesische Erziehung unterscheidet sich wesentlich von westlichen Vorstellungen, sagt Ingrid Gogolin, Pädagogik-Professorin an der Universität Hamburg. Zwar könne man nicht von einer einheitlichen Erziehungsmethode westlicher Eltern sprechen, es gebe jedoch eine grundlegende Übereinstimmung, nämlich "der Grundgedanke, dass Kinder sich selbständig entwickeln sollen. Dass sie sich mehr oder weniger angeleitet über die Zeit von ihren Anleitern befreien sollen."

Genau aus diesem Grund aber erklärt Amy Chua die Erziehungspraxis in den USA für gescheitert. Die Eltern erlaubten ihren Kindern zu viel Freiheit, kritisiert sie. Die chinesische Erziehungsmethode hingegen setze dem Nachwuchs bereits im Kindesalter klare Ziele vor Augen. Erzieherische Härte nehme Kindern Unsicherheiten, verleihe ihnen Selbstwertgefühl. Dass die Schüler aus Shanghai letztes Jahr zum ersten Mal an der internationalen PISA-Schulleistungs-Studie teilgenommen und gleich den ersten Platz belegt hatten, ist für die "Tigermutter" ein weiteres Argument.

Ingrid Gogolin aber weist darauf hin, dass auch finnische Kinder sehr gut abgeschnitten hätten, man könne das Ergebnis daher nicht als Beweis anführen, dass die chinesische Erziehung die bessere sei. Zudem warnt sie vor Verallgemeinerungen und betont, dass verschiedene Aspekte wie religiöse oder philosophische Traditionen die Erziehung und auch die Studien dazu beeinflussten. Und auch die Shanghaier Schüler selbst nahmen den PISA-Meistertitel relativ gelassen und bescheiden entgegen. Der stellvertretende Bildungsminister Shanghais wünschte sich von Chinas Schülern sogar weniger Büffelei und mehr Innovation.

"Hartschalen-Liebe"

Auch Jiang Chuan, eine studierte Pädagogin aus Peking, die seit elf Jahren in den USA lebt und als Marketing-Mitarbeiterin in einem renommierten amerikanischen Verlaghaus arbeitet, verfolgt die "Tigermutter-Debatte" in den amerikanischen Medien. Sie bevorzugt den toleranten Erziehungsstil, verteidigt jedoch die Tigermutter: "Sie tat es schließlich mit viel Liebe zu ihren Kindern." Westliche Kinder lebten unter der toleranten Erziehung vielleicht glücklicher, sie selbst aber sei mit Hinblick auf ihren beruflichen Erfolg mit ihrer strengen Erziehung zufrieden.

Amy Chua sagte übrigens vor kurzem in einem Interview, dass sie sich von manchen Lesern missverstanden fühle. Sie wolle niemanden belehren, ihr Buch sei auch keine Erziehungsanweisung. Sie wollte lediglich ihre Erfahrung als Mutter mit anderen Müttern teilen und ein Überdenken der westlichen Erziehungsmethoden anstoßen.

Autorin: Xiegong Fischer
Redaktion: Ana Lehmann/Petra Lambeck

Amy Chua: "Die Mutter des Erfolgs". Übersetzt von Barbara Schaden. Verlag: Nagel & Kimche. 256 Seiten. 19,90 Euro.