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Die Mission der Wikipedianer

12. Januar 2011

Einer muss das Online-Lexikon ja füllen. Einer wie Tim Hector zum Beispiel. Der deutsche Schüler schreibt und korrigiert hier freiwillig Artikel, weil ihn das System Wikipedia fasziniert. Selbst dann, wenn gepöbelt wird.

https://p.dw.com/p/Qp0L
Wikipedia-Autor Tim Hector an seinem Laptop (Foto: Marlis Schaum/DW)
Bild: DW

Wer Angela Merkel als doof bezeichnet oder andere Nutzer beleidigt, wird von Tim Hector gesperrt. Nicht weil er ein besonders großer Fan der deutschen Kanzlerin ist oder gerne Polizei spielt, sondern weil Tim das Projekt Wikipedia zu sehr mag. Wissen weltweit teilen, findet er eine großartige Idee. Als einer der rund 300 Administratoren, die in der deutschsprachigen Wikipedia kontrollieren, ob alles mit rechten Dingen zugeht, kann er sperren, löschen, korrigieren, um das Projekt nicht abdriften zu lassen.

Laptop mit geöffneter Wikipedia-Seite (Foto: Marlis Schaum/DW)
Tims ArbeitsplatzBild: Marlis Schaum

Mit 13 Jahren hat er angefangen sich bei Wikipedia zu engagieren. Für eine Schularbeit über Friedrich Dürrenmatt suchte er in einem Wikipedia-Artikel über den Schriftsteller nach Informationen und stolperte prompt über einen Zahlendreher. Er meldete sich bei Wikipedia an, korrigierte die Zahl und war dabei. Der 17 Jahre alte Schüler aus Leverkusen sagt, dass er es liebt Texte zu filtern, neu zu strukturieren und sie dann anderen zur Verfügung zu stellen.

Motivation: der unbekannte Leser

Seinen persönlichen Aha-Moment erlebte er während einer Deutschstunde. "Da hat ein Mitschüler ein Referat über Dürrenmatt gehalten und dafür Informationen aus meinem Text verwendet", erzählt Tim. Er habe die Stellen sofort wiedererkannt und sich gefreut. Genau darum gehe es ihm: "Jemandem dadurch einen Mehrwert verschaffen, dass ich Informationen zusammenstelle." Seine Hauptmotivation Artikel für Wikipedia zu verfassen seien nicht das positive Feedback oder die Tatsache, dass er sich persönliches Wissen aneigne, dadurch, dass er sich intensiv mit einem Thema beschäftige. Seine Hauptmotivation sei der unbekannte Leser.

Ein Mann sucht in den Online-Lexika Wikipedia und Brockhaus nach "Moses" (Foto: AP)
Wikipedia oder Brockhaus? Viele bevorzugen Wiki...Bild: AP

An seinem Lieblingsartikel über die Bayer AG in Leverkusen hat er über ein Jahr lang gearbeitet. Sachlich soll so ein Text sein, gut formatiert, mit sinnvollen Fotos ergänzt und mit ausreichenden Quellenangaben belegt. Tims Artikel über die Bayer AG gehört zu den längsten und ausführlichsten, die man in der deutschen Wikipedia findet. "Wenn ich einmal angefangen habe, mich in einen Sachverhalt einzuarbeiten und immer mehr Hintergründe entdecke, dann finde ich das so spannend, dass ich nicht mehr aufhören kann, mich damit zu beschäftigen." Nicht die Fakten, sondern die Zusammenhänge reizen ihn, sagt er. Es ist ihm sogar egal, das er nicht weiß, was andere mit diesem zusammengestellten Wissen machen, er findet es einfach toll, dass es weltweit verfügbar ist. 40 Artikel hat Tim Hector für die deutsche Wikipedia inzwischen verfasst und rund 14.000 "Edits", Bearbeitungen an Artikeln.

Mission: die große Enzyklopädie

Tim Hector ist kein Nerd. Er vergräbt sich manchmal zwar stundenlang vor dem Computer und trägt dem Klischee entsprechend auch eine Brille, aber er liebe die Texte nicht mehr als seine Freunde, sagt er. Durch die Mitarbeit bei Wikipedia hat er viele Menschen kennengelernt, die er auch außerhalb der Online-Welt trifft. An Wochenenden besucht er Tagungen und Treffen von Wikipedianern, engagiert sich bei Fachtagungen und macht bei Forschungsprojekten mit. Tim redet gewandt und ist mediale Aufmerksamkeit gewöhnt, immerhin macht er für Wikipedia auch ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit.

Jimmy Wales, Wikipedia-Gründer, hält einen Laptop in die Luft (Foto: dpa)
Jimmy Wales hat Wikipedia ins Leben gerufen, Tim findet's gutBild: Picture Alliance/dpa

Kritiker sagen, dass es Wikipedia-Autoren heute weniger darum gehe, Wissen zu teilen, sondern dass sie eher nach Macht und Anerkennung strebten. Die Stimmung innerhalb der Community sei nicht die beste. Tim Hector hält das für eine Übertreibung. Wie in jeder Gemeinschaft, gehe es auch in der Wikipedia-Community schon mal ordentlich zur Sache. Manche Diskussionen gehen aber auch Tim eindeutig zu weit. Wenn Administratoren tagelang darüber streiten wie lange ein Nutzer für eine Beleidigung gesperrt werden soll, klinkt er sich aus. "Das bringt dem, was wir da eigentlich in diesem Projekt tun, nämlich eine Enzyklopädie schreiben, überhaupt nichts mehr."

Autorin: Marlis Schaum

Redaktion: Petra Lambeck