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Viel Wirbel - China und das Jahr 2010

26. Dezember 2010

China hat die globale Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich besser überstanden als Europa und die USA. Die politischen Gewichte verschieben sich weiter Richtung Peking. Und China lässt nun öfter seine Muskeln spielen.

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China feiert - bei der Eröffnung der AsienspieleBild: AP

Unter China-Experten kursiert seit einiger Zeit der Spruch: "Es gibt nur eines, was schneller wächst als die chinesische Wirtschaft - nämlich das chinesische Selbstbewusstsein." Befeuert wird es durch allerlei Rekorde. In diesem Sommer hat China in Shanghai die größte Weltausstellung aller Zeiten mit einem Besucherrekord von 73 Millionen Menschen organisiert. China hat mittlerweile das größte Hochgeschwindigkeitsbahnnetz der Welt – die auf den Schienen dahin rasenden schnellsten Züge der Welt baut es selbst. Und weltweit rechnet kein Supercomputer schneller als der "Tianhe 1A" in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin.

Der deutsche Exportboom hängt an Chinas Aufschwung

Expo Shanghai 2010 Ende April
Die größte Expo aller Zeiten - Shanghai 2010Bild: dpa

In der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich Chinas Einfluss noch verstärkt: Die EU und die USA mussten 2009 Rückgänge ihrer Wirtschaften um drei bis vier Prozent verkraften. Chinas Wirtschaft hingegen legte offiziellen Zahlen zufolge um neun Prozent zu. Pekings Devisenschatullen sind mit rund zweieinhalb Billionen Dollar prall gefüllt. China wird deshalb nicht mehr nur als Absatzmarkt umworben, sondern auch als Investor. Auch in Europa hat sich China in den vergangenen Monaten als Retter in der Not präsentiert: Griechenland bejubelte Chinas Regierungschef Wen Jiabao, als der Anfang Oktober in Athen ankündigte, auch weiterhin griechische Staatsanleihen zu kaufen. Peking investierte auch in irische, portugiesische oder spanische Staatsanleihen, die sonst kaum jemand haben wollte. Wie Heilsbringer werden die Chinesen deswegen von einigen empfangen, vor allem an der Peripherie Europas Jeder will möglichst viel vom chinesischen Investitionsregen profitieren. Denn die Chinesen kaufen nicht nur Staatsanleihen. Sie investieren in Brücken, Flughäfen, Infrastruktur, Industrie.

China investiert aber auch Milliarden in den Ausbau seiner "soft power": Es gründet weltweit Konfuzius-Institute, baut seine internationalen Medien aus. Die Welt soll beruhigt werden: Chinas Aufstieg wird ein friedlicher sein.

Das andere Gesicht Pekings

Griechenland Container Terminal Hafen Piräus
Wird bereits von China gemanagt - der Hafen von PiräusBild: AP

Im September aber zeigte Peking sein anderes, weniger freundliches Gesicht. Der Anlass: Japan hatte ein chinesisches Fischerboot in einem zwischen beiden Staaten umstrittenen Seegebiet festgesetzt. Zuvor hatte es japanische Boote der Küstenwache gerammt. Ein Video im Internet zeigte die Begegnung auf hoher See.

Natürlich war mit lautem Protest aus Peking zu rechnen. Aber zur Verblüffung der Weltöffentlichkeit - und zur Beunruhigung der Nachbarn - steigerte sich China in einen Rausch von Drohungen. Und beließ es nicht bei Worten: Regierungskontakte wurden ausgesetzt, der Jugendaustausch abgesagt. Zwar ließ Japan den chinesischen Kapitän frei. Aber auch davon ließ sich Peking nicht besänftigen: Eine Entschuldigung wurde gefordert. Vor allem aber: Japan wurde rund zwei Monate mit einem Stopp des Exports von so genannten Seltenen Erden gestraft.

Chinas Wirtschaft im Dienst der Politik

Anti Japan Proteste in China
Antijapanische Proteste in China im Oktober 2010Bild: AP

Wie stark die Wirtschaft in den Dienst politischer Ziele gestellt wird, verdeutlicht eine im Herbst veröffentlichte Studie zweier Volkswirte von der Universität Göttingen: Andreas Fuchs und Nils-Hendrik Klann haben darin die Reaktionen Chinas auf offizielle Empfänge des Dalai Lama ausgewertet. Ihr Ergebnis lautet: Bei jenen Ländern, die den Dalai Lama empfangen hatten, reduzierten sich die Exporte nach China um durchschnittlich acht Prozent.

Vielleicht wird man bald auch einen "Liu-Xiaobo-Effekt" beobachten können. Der chinesische Literaturwissenschaftler, Autor und Dissident wurde Anfang Oktober zum diesjährigen Friedensnobelpreisträger gekürt - sehr zum Verdruss Pekings, das im Vorfeld mit beträchtlichem diplomatischen Druck versucht hatte, diese Auszeichnung zu verhindern.

Liu Xiaobo war Ende 2009 zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Der Kämpfer für ein demokratisches China hatte die "Charta 08" mit initiiert – ein Dokument, das unter anderem Gewaltenteilung und ein Mehrparteiensystem fordert. Das offizielle China bezeichnet den Friedensnobelpreisträger 2010 weiterhin als gewöhnlichen Kriminellen.

Der Friedensnobelpreis

Vergabe des Friedensnobelpreis an Liu Xiaobo Oslo
Friedensnobelpreisvergabe ohne Preisträger - Oslo im Dezember 2010Bild: AP

Im Vorfeld der Preisverleihung am 10. Dezember hat China seinen Druck noch erhöht: Alle 65 in Oslo stationierten Botschafter erhielten einen Brief der chinesischen Botschaft in Oslo. Darin wurden sie aufgefordert, "an keinen Aktivitäten teilzunehmen, die gegen China gerichtet sind". Immerhin 18 Staaten haben ihre Teilnahme abgesagt: neben China auch Russland, Kasachstan, Kolumbien, Tunesien, Saudi Arabien, Pakistan, Irak, Iran, Vietnam, Afghanistan, Venezuela, die Philippinen, Ägypten, Sudan, Kuba, Sri Lanka und Marokko. Geir Lundestad, Leiter des Osloer Nobelkomitees konstatiert: "Wir stellen fest, dass sich die Chinesen in diesem Jahr sehr engagiert haben. Sie wollten, dass so wenige wie möglich der Einladung folgen."

Die Staaten der Europäischen Union – ansonsten häufig von China geschickt gegeneinander ausgespielt - haben wenigstens hier Einigkeit demonstriert: Deren Vertreter sind vollständig erschienen.

Autor: Matthias von Hein

Redaktion: Silke Ballweg