1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Fälle von Visa-Missbrauch

20. Dezember 2010

An mehreren deutschen Botschaften sind unrechtmäßig Visa erteilt worden. Im Mittelpunkt der Affäre steht die Auslandsvertretung in Kairo. Die Fälle erinnern an ähnliche Vorkommnisse während der rot-grünen Regierungszeit.

https://p.dw.com/p/QgXo
Ein Reisepass und ein Stempel symbolisieren das Ausstellen eines Visums.
Bild: picture-alliance/chromorange

Der Sprecher von Außenminister Guido Westerwelle war sich der Widersprüchlichkeit seiner Worte anfangs wohl gar nicht bewusst. Von "einzelnen Fällen" berichtete Andreas Paeschke, "die durch das permanente engmaschige Kontrollnetz" des Auswärtigen Amtes aufgedeckt worden seien. Man sei sich angesichts von knapp zwei Millionen Visa-Anträgen jährlich der Sensibilität bei dieser Problematik bewusst, sagte Paeschke.

Offenbar hatten und haben die an der Aufklärung beteiligte Bundespolizei und die Staatsanwaltschaft seit 2007 in diesem Zusammenhang jedoch ungewöhnlich viel zu tun, vor allem durch den mutmaßlichen Visa-Missbrauch an der Deutschen Botschaft in Kairo, aber auch an anderen Auslandsvertretungen. Es gehe "um einige Hundert Visa-Anträge, bei denen Unregelmäßigkeiten festgestellt werden konnten", bestätigte Paeschke die doch nicht so kleine Dimension. Außenminister Westerwelle habe klargestellt, dass Missbrauch nicht geduldet werde.

Mehrere Mitarbeiter wurden entlassen

Guido Westerwelle mit leicht geöffnetem Mund. Im Hintergrund die deutsche Flagge. (Foto:(AP / J. Scott Applewhite)
Westerwelle: "Missbrauch wird nicht geduldet."Bild: AP

In allen übrigen Fällen soll es um lediglich zwei, drei Anträge gehen. Es handele sich um Botschaften und Konsulate in Afrika, im Mittleren Osten, auf dem westlichen Balkan und in Zentralasien, listete der Außenamts-Sprecher auf. Medien-Berichte über Länder in Südamerika seien indes unzutreffend. Mehrere örtliche Mitarbeiter seien in Folge der Ermittlungen entlassen worden, sagte der Außenamts-Sprecher.

Um dem Missbrauch vorzubeugen, würden seit längerem entsprechende Maßnahmen ergriffen, erläuterte Paeschke. Ortskräfte, die am Schalter säßen, müssten regelmäßig mit jenen rotieren, die im hinteren Teil der Visa-Stellen arbeiteten. Zudem würden die Anträge nach dem Zufallsprinzip den einzelnen Dienststellen zugeteilt. Wenn sich dennoch ein Verdacht ergebe, würde dem sofort "in engster Zusammenarbeit" mit der Bundespolizei und der Staatsanwaltschaft nachgegangen.

Parallelen zur Visa-Affäre 2004

Die jetzt bekannt gewordenen Missbrauchs-Fälle erinnern an die 2004 aufgedeckte Visa-Affäre, in deren Zentrum die Deutsche Botschaft in Kiew stand. Damals waren Tausende fragwürdige Einreise-Genehmigungen erteilt worden, von denen anscheinend auch Menschen-Händler profitierten, die Zwangs-Prostituierte nach Deutschland schleusten. Begünstigt wurde diese Praxis durch einen Erlass der rot-grünen Regierung aus dem Jahre 2000, demzufolge bei der Visa-Erteilung unbürokratischer verfahren werden solle.

Joschka Fischer dreht sich, auf einem Stuhl sitzend, um, als er im April 2005 vor dem Visa-Untersuchungs-Ausschuss erscheinen muss. (Foto: AP / Herbert Knosowski)
Fischer als Zeuge im Visa- Untersuchungs-Ausschuss.Bild: AP

Auf Initiative der seinerzeit oppositionellen Konservativen (CDU/CSU) befasste sich 2005 ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit der Visa-Vergabe- Praxis an deutschen Botschaften. Als Zeuge wurde unter anderem der damalige grüne Außenminister Joschka Fischer gehört. Diese Sitzung wurde sogar live im Fernsehen übertragen – eine Premiere in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus.


Konservative drängen auf Visa-Warndatei

Die neuen Fälle von Visa-Missbrauch haben in Deutschland den Streit über die Einrichtung einer so genannten Visa-Warndatei wiederbelebt. Nach dem Willen der Konservativen sollen darin möglichst viele Namen und Fakten von potenziell verdächtigen Antragstellern gespeichert werden. Das Vorhaben scheiterte an den Sozialdemokraten, mit denen die Konservativen bis 2009 regierten.

Mit ihrem jetzigen liberalen Koalitionspartner verständigte man sich zwar auf die Einrichtung einer Visa-Warndatei. Allerdings sind die Verhandlungen zwischen ins Stocken geraten. Der Sprecher des von den Konservativen geleiteten Innenministeriums, Philipp Spauschus, präzisierte die Pläne.

Demnach sollen in den Warndaten-Katalog Straftatbestände aus den Bereichen Terrorismus, Menschenhandel, Schleusung, Rauschgift-Handel und Bildung krimineller Vereinigungen aufgenommen werden. "Aber im Einzelnen bestehen noch unterschiedlich Auffassungen über den Umfang und den Zugriff der Sicherheitsbehörden", räumte der Sprecher ein.

Liberalen gehen Forderungen zu weit

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger steht mit einer abwehrenden Handbwegung Innenminister Thomas de Mazière gegenüber, der unter dem Arm ein paar Akten hält. Im Hintergrund ein farbenprächtiges modernes Gemälde. (Foto: AP / Markus Schreiber)
Uneins: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Thomas de MaizièreBild: AP

Inhaltlich scheinen die Vorstellungen von Innenminister Thomas de Maizière kaum in Einklang zu bringen zu sein mit denen seiner liberalen Kabinetts-Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Deren Sprecher Anders Mertzlufft legt auf einen anderen Aspekt besonderen Wert. "Es geht nicht darum, pauschal für alle Sicherheitsdienste alle möglichen Gefährdungslagen in eine große Datei einzubauen", beschreibt Mertzlufft die Grenze, die aus Sicht seiner Chefin nicht überschritten werden darf.

Der Streit zwischen den Koalitionspartnern dreht sich im Kern um die Frage, wessen Daten überhaupt in einer noch zu schaffenden Visa-Warndatei gespeichert werden dürfen und welche Sicherheitsdienste darauf unter welchen Voraussetzungen Zugriff haben sollen. Im Moment liegen die Vorstellungen darüber noch sehr weit auseinander. Zu weit für eine kurzfristige Lösung, wie sie der Vorsitzende des Innen-Ausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach, fordert. Bosbach gehört wie Innenminister de Maizière der CDU an.

Autor: Marcel Fürstenau (dpa, ap, afp)
Redaktion: Hajo Felten