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Dozent für Weltliteratur

16. Dezember 2010

Der Bestseller-Autor war für sechs Tage "Literator" an der Universität zu Köln. Frei nach Goethe ist das ein Autor, der zwischen Kulturen vermittelt. Kehlmanns Auftrag: Weltliteratur und Wissenschaft zusammenzubringen.

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Porträt Daniel Kehlmann 2009
Bild: picture-alliance/dpa

Daniel Kehlmann sieht selbst ein bisschen wie ein älterer Student aus. Dunkler Rollkragen, offene Anzugjacke und trotz Jetlag und langem Flug von New York nach Köln vor Witz sprühend. So tritt er hinter das Pult des Audimax, des gut gefüllten, größten Hörsaals der Kölner Universität. Kehlmann spricht über eines seiner Lieblingsbücher: "Hundert Jahre Einsamkeit" des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel García Marquez.

Kehlmann gilt als Superstar der Literaturszene. 35 Jahre jung und schon weltweit bekannt. Sein Roman "Die Vermessung der Welt" zählt neben der "Blechtrommel" von Günter Grass zu Deutschlands meist verkauften Romanen der Nachkriegsliteratur.

Von Goethe zu Kehlmann

Bestseller-Autor Daniel Kehlmann am tisch mit seinen Übersetzern (12.12.)
'Literator' Kehlmann bei der Arbeit (2.v.l.)Bild: Sabine Oelze

Keinen besseren Vertreter einer deutschen Literatur, die in die ganze Welt ausstrahlt, hätte das internationale Literaturkolleg "Morphomata" für den ersten "Literator" finden können. Was nach einer Mischung aus Imperator und Terminator klingt, geht in Wirklichkeit auf keinen geringeren als Johann Wolfgang von Goethe zurück. "Ein Literator ist laut Goethe ein Autor, der selber zur Weltliteratur zählt und zwischen den Literaturen der Welt vermitteln kann, indem er versteht aus der eigenen Literatur in die Fremde auszugehen", sagt Günter Blamberger. Der Literaturprofessor am Internationalen Kolleg "Morphomata" hat den "Literator" Kehlmann berufen. Dabei bezieht er sich vor allem auf den Roman "Die Vermessung der Welt", der in 40 Sprachen übersetzt wurde. In komödiantischem Tonfall beschreibt Kehlmann darin Lebens-Stationen des reisenden Naturforschers Alexander von Humboldt und des Mathematikers Karl Friedrich Gauß. Der Leser begibt sich mit Humboldt in die Sümpfe des Amazonas, zählt mit ihm die Läuse der Ureinwohner, kämpft gegen Moskitos oder beobachtet mit Gauß die Sterne in der kleinen hessischen Stadt Göttingen. Zwei Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten - der eine reist durch die Welt, der andere bleibt zu Hause - und die doch beide ein Stück typisch deutscher Geistesgeschichte verkörpern.

Deutsche Geistesgeschichte weltweit

Die Vermessung der Welt, Buchcover
Die Vermessung der Welt

Wie kann man diese Geschichte erfolgreich in andere Länder transportieren? Und: Ist Kultur übersetzbar? So lautete denn auch der Teil des Literator-Programms, bei dem Kehlmann mit seinem Übersetzer ins Griechische, Konstantinos Kosmas, und seiner Übersetzerin ins Französische, Juliette Aubert, diskutierte. Schon der Romantitel "Die Vermessung der Welt" lässt im Deutschen mehrere Interpretationen zu: die rechnerische Erfassung der Welt, die infame Geste des Aneignens und das Erzählen als solches. Um all das geht es in dem Buch. Juliette Aubert hat es im Französischen "Les Arpenteurs du Monde" genannt, was übersetzt 'die Vermesser der Welt' bedeutet. "Der französische Titel spielt auf die zwei Hauptfiguren Humboldt und Gauß an", so Aubert, "wir konnten 'Die Vermessung der Welt' nicht wörtlich übersetzen." Um die Mehrdeutigkeit der Vermessung widerzuspiegeln, griff Aubert auf ein Verb zurück: " 'arpenter' passt gut, weil es vermessen und zugleich hektisch quer durch die Welt reisen bedeutet. Gauß und Humboldt vermessen die Welt, der eine reist, der andere nicht, darauf spielt der französische Titel an."

Kreativität der Übersetzer

Übersetzen ist immer auch ein Versuch, nicht nur die Bedeutung der einzelnen Wörter, sondern den Stil und die Stimmung des Original-Texts zu erhalten. Juliette Aubert hatte das Glück, dass sie Daniel Kehlmann treffen konnte, um mit ihm über kritische Stellen zu diskutieren. Ein Problem konnte sie allerdings nicht aus dem Weg räumen: "Die indirekte Rede, in der ein Großteil des Romans verfasst ist, haben wir im Französischen als Form nicht." Aubert wusste sich zu helfen: "Manchmal habe ich so eine Art freie indirekte Rede geschaffen. Eine Figur spricht von sich, als würde eine andere Figur sprechen, das schafft diese Distanzierung, die in dem Buch wichtig war. Gerade bei Humboldt passt das gut, weil er wenig Distanz zu sich hat", erklärt Juliette Aubert.

Vertrauen auf die Übersetzer

Übersetzer ins Griechische Konstantinos Kosmas
Konstantinos Kosmas übersetzt Kehlmann ins GriechischeBild: Sabine Oelze

Kehlmanns Roman besitzt noch andere Tücken, bei denen Übersetzer Kreativität beweisen mussten. "Die Vermessung der Welt" ist in einer sehr präzisen Sprache geschrieben und zeigt dabei doch einen sehr feinen, deutschen Humor. "Man macht metaphorisch die Augen zu und versucht, die Szene im Kopf zu spielen und sie in der eigenen Sprache aufs Papier zu bringen", sagt Konstantinos Kosmas, der "Die Vermessung der Welt" ins Griechische übersetzt hat. "Das gilt auch für den Humor. Ich überlege, warum der deutsche Leser lachen muss, das kann man nicht wörtlich übersetzen, das muss man frei nachempfinden."

Daniel Kehlmann muss seinen Übersetzern vertrauen, er könnte es ohnehin nicht nachprüfen. Schließlich wurde "Die Vermessung der Welt" auch in asiatische Sprachen übersetzt. Der 35-jährige Autor sieht das allerdings gelassen. Kultur ließe sich niemals eins-zu-eins übersetzen, meint er, deshalb sei die kreative Freiheit der Übersetzer gefragt: "Leute, die ernsthafte Literatur lesen, sind es ja gewöhnt, ständig Dinge nicht zu verstehen und trotzdem nicht die Nerven zu verlieren", meint der Autor, der mit seiner Gast-Dozentur als "Literator" einen Beitrag zum Austausch der Kulturen geleistet hat.

Autorin: Sabine Oelze
Redaktion: Gabriela Schaaf